Der Blick aufs Comic-Jahr – mit Jakob Hoffmann

Das Jahr 2024 war zwar kein sogenanntes Asterix-Jahr (bei der Veröffentlichung eines neuen Bandes steigen die Verkaufszahlen des Marktes insgesamt), es war aber dennoch ein ganz gutes Comic-Jahr. Erlangen rief zum Comic-Salon und die Verlage haben wieder allerhand neue Bücher veröffentlicht. Egal ob Klassiker oder Newcomer – der Frankfurter Comic-Zampano Jakob Hoffmann wirft einen Blick zurück und wagt einen Ausblick auf das, was 2025 so kommt. Der Blick aufs Comic-Jahr.
Der Große Reset. ©Reprodukt
(Alex Jakubowski) Lieber Jakob, welcher Comic hat Dich 2024 so richtig überrascht? 

(Jakob Hoffmann) Das war eindeutig Ika Sperling mit ihrem Buch: Der Große Reset.

Warum? Was hat Dich daran so beeindruckt?

Ich kannte die Zeichnerin vorher nicht. Beim Reprodukt Verlag wurden dieses Jahr drei Newcomer-Comics veröffentlicht, alle aus dem Umfeld der Hamburger Hochschule. Das finde ich vom Verlag schon mal mutig, gut und wichtig. Alle drei Comics haben mich überzeugt. Aber dieser besonders: wegen des Themas und wegen der starken Zeichnungen.

Sie war damit  ja auch in Erlangen nominiert. Gewonnen haben da aber andere. Wem hättest Du in diesem Jahr noch einen Preis gewünscht?

Das ist schwer zu sagen. Wem wünscht man in der kleinen Szene keinen Preis? Ich denke Tobi Dahmen und Mikael Ross haben preiswürdiges geschaffen, aber ich hab vieles gelesen was ich toll fand.

Der verkehrte Himmel. ©Avant-Verlag
Was denn zum Beispiel noch?
Also in Erlangen waren es die Altmeister. Da hatte ich den Eindruck, ich kapier jetzt erst so langsam, was da passiert. Also zum Beispiel Blutch mit seiner sehr persönlichen Lucky-Luke-Adaption. Aber vor allem auch Sfar der ja kaum zu stoppen ist und fast nur gute Sachen macht. Mir hat Meute von Noelle Kroeger sehr gut gefallen und auch Das kalte Herz von Sascha Hommer. Im Kindercomicbereich fand ich Snapdragon sehr überzeugend von Kat Leyh. Ich mochte zudem Atan von den Kykladen von Judith Vanistendaal – weil mir die Reihe mit Kunstwerken aus dem Louvre gut gefällt.
Was meinst Du mit „Ich kapier jetzt langsam, was da passiert“?
Na ja, ich bin ja bei Comics Seiteneinsteiger. Joann Sfar war da für mich lange Jahre ein großer Name, bei dem es ein Raunen gab. Ich hab dann einiges von ihm gelesen. Der Götzendiener hat mich dann erst intellektuell verstehen lassen, wie er arbeitet. Und die Ausstellung in Erlangen und Paris war dann ein Augenöffner, wie fantastisch er zeichnet. Und ich bin tatsächlich auch von seiner Produktivität beeindruckt. Ich finde sein work-ethic inspirierend. Blutch kannte ich vor allem von Mikael Ross, der ihn mir sehr ans Herz gelegt hat. Dann hatten wir in Erlangen die Chance, mit ihm ein öffentliches Interview zu machen. Da habe ich mich drauf vorbereitet und gesehen, was es bedeutet, einen eigenen Stil zu haben und wie frei einen das macht, Geschichten zu erzählen.
Das kalte Herz. ©Reprodukt
Sascha Hommer fand ich auch schon immer gut, der  ja leider länger nichts gemacht hat. Jetzt „Das kalte Herz“, das ich vor allem als Film kannte. Was gefällt Dir an seiner Version?
Die Vorlage von Hauff hat mich schon immer berührt und ein bisschen gegruselt. Hommer arbeitet die Gier des Helden sehr dezent und eindrücklich heraus. Aus dem Märchen wird eine Parabel des Kapitalismus. Aber ohne, dass das die Handlung, die Bilder erdrückt. Sehr einfach etwas kompliziertes zeigen, das mag ich.
Und zu Meute musst Du mir mehr erzählen. Das sagt mir leider gar nichts…
Das ist eine der Premieren bei Reprodukt, von denen ich gesprochen habe. In der Geschichte geht es um Werwölfe, die wiederum für eine trans-Identität stehen. Das ist sehr naheliegend und doch wirkt es nie konstruiert und bleibt spannend. Der Stil ist sehr dynamisch und frei.
Wie siehst Du denn die Entwicklung deutscher Künstler:innen. Da tut sich ja doch einiges in den vergangenen Jahren. 

Auf der einen Seite schon. Reprodukt hatte beim letzten Mappentermin fast 300 Einreichungen. Das bedeutet schon was. Andererseits ist die Szene so zerbrechlich, dass sie ohne Förderung kaum überleben kann. Und die wird zurückgehen. Gerade im Bereich Kindercomic kommt sehr wenig neues aus Deutschland. Wenige trauen sich ins Risiko. Man muss aber ganz klar sagen: Es werden einfach zu wenig Comics gekauft und das wird sich nicht ändern. Eine hochwertige Comic-Produktion ohne Subventionen wird es bei uns nicht geben können.

Comic-Zampano Jakob Hoffmann. ©privat
Würdest Du denn sagen, dass die zeichnerische und erzählerische Qualität ausreicht?

Das mit der Qualität ist schwer zu sagen, da fehlt mir die Distanz. Ich würde natürlich sagen: ja. Es werden ja durchaus Lizenzen verkauft. Mikael Ross ist bei einem großen französischen Verlag publiziert, Helena Baumeister mit ihrem Debüt Oh Cupid hatte gerade Premiere in Brüssel. Ich würde mir insgesamt mehr Output wünschen. Auch mehr Kooperationen zwischen Szenarist:innen und Zeichner:innen wären wünschenswert. Wie in Frankreich. Aber es braucht Förderung sonst wird sich kaum jemand entscheiden, diesen riskanten Weg einzuschlagen: Comics Machen.

Was würdest Du Dir wünschen, damit gerade junge  Künstler dauerhaft Fuß fassen können? 

Für die Künstler:innen wünsche ich mir mehr Orte, wo sie professionell zusammenarbeiten können und mehr raushauen können und müssen.

Du meinst sowas ähnliches wie Spirou früher oder L‘Association im Französisch-sprachigen Raum, wo Künstler um Trondheim aber auch Blain, Bravo oder Deslisle veröffentlicht haben?
Ja, das ist eine interessante Richtung. Ich denke aber auch an konkrete Werkstätten für Zeichner:innen, an Residenzen mit mehreren Leuten. Beim Comicsalon gibt es ja so was und auch Anke Feuchtenberger ist mit ihren Studierenden immer wieder aufs Land gegangen um über ein paar Tage intensiv zu arbeiten.
Bei Polle haben wir ein schönes Netzwerk. Aber bis auf die gemeinsamen Lesungen auf Festivals – die immer sehr lustig sind – passiert da hinsichtlich einer direkten Zusammenarbeit nichts. Da hätten wir aber Lust drauf. Zum Beispiel in Kooperation mit Kunsthochschulen oder Verlagen. Also Workshops, bei denen am Ende auch publizierbare Dinge entstehen, das wäre fantastisch.
Das Polle-Magazin. ©Péridot
Zumindest für Kinder-Comics hast doch gerade Du mit Polle so einen Ort geschaffen, oder? Ihr habt den Fortbestand des Magazins ja gerade auch gesichert…

Ja, Polle ist erstmal übern Berg, dank einer großen Solidarität unter Künstler:innen und viel Zuspruch und Investition von Leser:innen. Wir freuen uns und können auch schon eine tolle neue Nummer für den Herbst versprechen.

Du machst ja neben diesem Projekt ganz viele Lesungen. Wieviele Comics hast Du in diesem Jahr gelesen?

Comics 2024, keine Ahnung. Durch Polle lese ich viele kurze Sachen, aber die sind damit nicht gemeint. Insgesamt, pff, ich schätze mal 100 oder so? Ich hatte Veranstaltungen mit über 50 Künstler:innen, da lese ich die Sachen natürlich immer.

Welche Veranstaltungen können wir im kommenden Jahr mit Dir  erwarten?
Nächstes Jahr: Es gibt im Februar Yippie, das Kindercomic-Festival, das wird schön. Am 21. Mai eröffnet eine Ausstellung in Wiesbaden mit Comics von Nora Krug, Tobi Dahmen, Birgit Weyhe und Hannah Brinkmann, Arbeitstitel ist Geschichtsbilder, die bereite ich gerade vor. Zudem arbeite ich an einem internationalen Ausstellungskonzept für ein kanadisches Projekt, bei dem auch das Buch und die Ausstellung Aber ich lebe entstanden ist. Hier entstehen bis 2027 acht bis zehn neue Comics von famosen Zeichnerinnen aus der ganzen Welt. In Frankfurt wird es wieder Lesungen geben, immer dann, wenn es geht. Es kommen tolle Leute: Reinhard Kleist, Sascha Hommer, Nadine Redlich, Ulli Lust, Guy Delisle, Paco Roca und sicher noch einige mehr. Mal sehen, was wir hinbekommen. Tatsächlich möchte ich gerne weniger machen als 2024.
Die Paulina-Stulin-Ausstellung in der Caricatura. ©Foto: Alex Jakubowski
Warst Du eigentlich in unserer Ausstellung zu Paulina Stulin?
Shame on me – ich habe es nicht geschafft, die Ausstellung von Dir und Paulina anzusehen. Eigentlich unverzeihlich, weil man das wenige, was im Comicbereich in Frankfurt passiert, unbedingt ansehen sollte.
Ich habe mich hier wie so oft täuschen lassen bei Ausstellungen in der eigenen Stadt: Da kann ich ja immer noch hingehen – und dann sind sie vorbei. Ich war auch nicht bei Loriot. Aber in Paris im Centre Pompidou. Das ist schräg. Ich habe über Eure Ausstellung nur Gutes gehört und gesehen, chapeau.
Vielen Dank, die Ausstellung wurde bis zum 19. Januar verlängert, Du kannst also noch hin. Und was sagst Du zu unserem Graphic-Novel-Kanon, an dem ich mitarbeiten durfte?
Den Kanon finde ich super und habe ihn mir gleich gekauft. Ich glaube, man setzt sich damit immer in die Nesseln weil man sich damit positioniert. Aber das löst ein Gespräch aus, und das finde ich toll. Und es gibt natürlich etliche Titel, die ich da noch nicht kenne, und auf die ich jetzt neugierig bin. Und ist schön gemacht, das ist ja auch immer wichtig.
Welche Bücher fehlen Dir darin?
Bestimmt ganz viel. Adrian Tomine, Blutch, Richard McGuire, keine Ahnung. Aber das macht nichts, finde ich, weil die empfohlenen Sachen ja überwiegend so spannend sind, dass man damit gut weiter auf die Suche gehen kann.
Die 111 besten Graphic Novels ©Edition Alfons https://www.reddition.de/
Wer ist eigentlich Dein Lieblingskünstler?

Damit ist vermutlich jemand aus dem Bereich Comic gemeint. Kann ich nicht beantworten, ich bewundere zu viel. Wenn Du mich fragen würdest, mit wem ich gerne eine Ausstellung machen würde, wenn ich Carte Blanche hätte, dann würde ich sagen: Camille Jourdy und Brecht Evens.

Und schließlich: Worauf freust Du Dich kommendes Jahr besonders?
Ich bin zum ersten Mal in Bologna dabei bei der Kinderbuchmesse, von der ich schon sehr viel Tolles gehört habe. Ich mache da eine kleine Ausstellung mit Axel Scheffler, das wird sicher schön und nett. Ich freu mich auf die nächsten Polles, die Gäste, die nach Frankfurt kommen, die Ausstellung im Klingspor Museum Offenbach (mit der ich nichts zu tun habe), die neuen Comics von Bea Davies und Camille Jourdy und so weiter und so fort. Und auf ein schönes Buch über den fantastischen Ralf König.
Na sowas… 😉 Danke Dir für das schöne Interview!
Vorläufiges Cover. ©Egmont Comic Collection

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