Lange haben wir auf das neue Buch von Tobi Dahmen gewartet. Nach Fahrradmod ist nun endlich Columbusstraße erschienen. Ein Buch, das seinen Ausgang in einem langen Gespräch Tobis mit seinem Vater nahm. Und das einen Teil seiner Familiengeschichte erzählt. Auf dem Comic-Salon in Erlangen sorgte das Werk schon für viel Aufsehen. Und offenbar wird es auch vom breiten Publikum sehr gut angenommen. Zwischen Lesereise, Urlaub und Arbeit hat Tobi noch Zeit für ein Interview gefunden. Columbusstraße – eine faszinierende Geschichte.
(Alex Jakubowski) Lieber Tobi, Dein Buch ist kaum auf dem Markt, schon habt Ihr eine zweite Auflage drucken können. Wahnsinn, nach so kurzer Zeit. Was macht das mit Dir?
(Tobi Dahmen) Tatsächlich ist sogar bereits die dritte Auflage in Arbeit. Tja, was macht das mit mir? Ich freue mich vor allem wahnsinnig darüber. Ich hätte mit so einem massiven Feedback nicht gerechnet. Vor allem freue ich mich darüber, dass das Buch richtig verstanden wird. Ich habe durchaus auch mit Kritik gerechnet, weil ich die Geschichte ja über viel Originalzitate meiner Familie erzähle, also von den Tätern und MitläuferInnen. Stellung beziehe ich nur über die Bilder. Ich hab mir da schon Sorgen gemacht, ob das angemessen ist, angesichts all des Elends, für das diese Generationen verantwortlich sind, ob nun aktiv oder eher passiv. Aber es ist glaube ich auch wichtig, sich mal anzuschauen, wie das alles passieren konnte. Und dafür müssen wir auch die Verantwortlichen ins Bild nehmen.
Du hast Deine Familiengeschichte bzw. die Deines Vaters in Szene gesetzt. Für diejenigen, die noch nichts über Columbusstraße wissen: Worum geht es und wie bist Du vorgegangen?
Die Columbusstraße beschreibt die Geschichte meiner beiden Familien. Das Geburtshaus auf der Columbusstraße in Düsseldorf-Oberkassel legt gewissermaßen den Grundstein für die Existenz meines Vaters und somit auch meiner. Meine beiden Eltern haben ja den Zweiten Weltkrieg bewusst erlebt, als Kinder zwar, aber sie konnten sich noch an sehr viel erinnern. Das habe ich mir eines Tages während einer Zugfahrt von meinem Vater erzählen lassen und aufgenommen. Nach seinem Tod habe ich in seinem Fundus nicht nur das, was er mir erzählt hat, bestätigt gesehen, sondern auch noch viel mehr Informationen gefunden. Meine Familie hat sehr viel aufbewahrt. Meinem Großvater war es wohl sehr wichtig, weiterzugeben, wie er gedacht hat, und was ihm wichtig war.
Ich habe dann aus all diesen Informationen einen Zeitstrahl mit allen kleinen Ereignissen gebaut, in dem Programm Aeon kann man den Ereignissen dann auch Personen und Orte zuschreiben, so erhielt ich eine erste Übersicht. Dann habe ich mir die Momente herausgesucht, die mir besonders wichtig erschienen und daraus dann die Geschichte geschrieben und das Storyboard gezeichnet. Und parallel natürlich auch sehr viel Recherche betrieben. Habe etwa die Orte in Düsseldorf und aber auch die Orte besucht, zu denen mein Vater verschickt wurde, um ihn vor den Bombenangriffen zu schützen. Und natürlich habe ich sehr viele Bücher gelesen. Angefangen zu zeichnen hab ich dann 2020, kurz bevor es mit Corona losging. Da hatte ich dann abends auf jeden Fall noch genug zu tun.
Bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit erfährt man ja nicht immer nur Schönes. Wie bist Du mit Deinen Rechercheerlebnissen und -ergebnissen umgegangen?
Es war natürlich selten schön, was man da gelesen hat. Der ganze Horror des Russland-Feldzugs ist nur schwer zu verkraften. Manchmal war das schon schwer zu lesen und dann hat man ein, zwei Nächte wach gelegen. Trotzdem kann ich es nicht anders beschreiben, als dass diese Arbeit für mich etwas sehr Erfüllendes hatte. So viele Fragen, mit denen ich mein Leben lang herumgelaufen bin, zu klären und für die Familie zu bewahren und dann sogar für ein größeres Publikum. Trotz der sehr kurzen Nächte und der wirklich intensiven Arbeit in den letzten Monaten am Buch habe ich das in all der Zeit sehr gern gemacht. Und dann habe ich mich ausserdem relativ früh entschieden, das wirkliche Grauen nie komplett realistisch abzubilden. Ich glaube, es wäre mir gar nicht möglich. Das war alles so schrecklich, da findet automatisch eine Abstraktion statt. Was es dann auch für mich als Zeichner wieder einfacher macht.
Hast Du versucht, das was Dein Vater Dir erzählt hat, zu überprüfen? Zu objektivieren?
Ich habe schnell gemerkt, dass einige Familienerzählungen nicht ganz stimmen. Manche Dinge wurden einfach weggelassen. Ja, mein Großvater war dem NS-Regime als Katholik nicht freundlich gesinnt, aber er hatte mit der Ideologie auch Schnittmengen, den Patriotismus aber auch leider den Antisemitismus. Da gab es einige entlarvende Briefe. Und sie wurden auch nicht nur so verfasst, weil man sich den Anschein von Ideologietreue geben wollte. Sogar noch in den Siebziger Jahren finden sich in Briefen solche Ressentiments. Für mich war klar, dass ich das nicht unter den Teppich kehren will.
Die Geschichte meines Großvaters mütterlicherseits liegt ähnlich, auch hier wurden wichtige Details weggelassen. Dass mein Großvater ein hohes Tier in der Rüstungsindustrie war, wurde in der Familie nie erwähnt, es ging immer nur um den Direktorenposten in einer Schraubenfabrik. Ich kam darauf angesichts einer Personalakte, was mich zu einer Gedenkstätte geführt hat. Die Mitarbeiter dort haben aufgrund der Akten aus dem Bundesarchiv dann einen Historiker angesprochen, für den Informationen aus der Akte meines Großvaters interessant waren. Er hat freundlicherweise während seiner eigenen Recherche für mich nach meinem Großvater gefahndet. In den besagten Quellen, in denen er gesucht hat, hätte ich sonst nie gesucht. Eine ebenfalls sehr wichtige Quelle war die Familie Huth. Die Tochter des Organisten Ewald Huth lebt noch und hat mir viel erzählt, was für mich ein besonderes Geschenk war. Genauso wie die Akten, die mir ihre Enkelin hat zukommen lassen, an die ich sonst auch nicht ohne weiteres drangekommen wäre.
Wie hat Dich Deine Familie unterstützt? Dein Vater ist ja leider zu früh verstorben.
Mein Vater konnte das Buch leider nicht mehr lesen. Meine Familie hat mich aber sehr unterstützt, und war mir gleichzeitig auch sehr dankbar dafür, was ich alles noch herausgefunden habe. Meine Mutter war und ist natürlich eine wichtige Ansprechpartnerin. Aber es schmerzt natürlich, dass ich so viele der Personen aus der Geschichte nicht mehr persönlich fragen kann. Eine wichtige Stütze war mir ausserdem meine Cousine Brigitte Adorno, die mir beim Transkribieren und Ordnen der Briefe aus Russland geholfen hat. Aber es gab darüber hinaus noch zahlreiche HelferInnen, die Briefe oder Interviews transkribiert haben, die mich an Orte der Handlung geführt haben, ohne all diese Menschen ist so ein Projekt nicht möglich.
Hast Du mit dem Buch alles erzählt, was Du erzählen wolltest? Oder hättest Du noch Stoff für viel mehr?
Bei weitem nicht. Ich musste mich für das Buch schon beschränken, auch wenn das komisch klingt bei dem Ziegelstein, der daraus geworden ist. Ich hätte sogar beinahe all die Russland-Szenen nicht gezeichnet. Aber diese Quelle ist zu wichtig und gleichzeitig hätte das womöglich auch nur wieder die deutsche Opfererzählung gestützt mit dem Fokus auf dem Bombenkrieg in den deutschen Großstädten. Wenn ich über den Zweiten Weltkrieg schreibe, dann muss ich natürlich auch den verbrecherischen Angriffskrieg Deutschlands zeigen.
Aber das Projekt war von Anfang an als Zweiteiler geplant, im Nachfolger wird dann die Familie meiner Mutter im Fokus stehen, während es bisher ja die Familie meines Vaters war. Wie war das Leben in Ostdeutschland unter sowjetischer Besatzung? Da gibt es auch noch viel zu erzählen. Und natürlich auch, wie ging es mit der Familie Dahmen weiter? Ich befürchte, das wird auch wieder ein dickes Buch. Ich hoffe die Leute haben ein bisschen Geduld, das wird noch ein Weilchen dauern.
Welches Projekt können wir als nächstes von Dir erwarten?
Leider muss ich die Arbeit an der Columbusstraße gerade ein wenig auf Eis legen, weil ich noch zwei andere Comic-Projekte bearbeite. Das eine ist ist Teil des Survivor-Based Narratives Project, das von Charlotte Schallie von der Universität von Victoria in Kanada ins Leben gerufen wurde. Im Rahmen dieses Projekts habe ich letztes Jahr den Flüchtling Akram aus Syrien interviewt und werde sein Martyrium in den syrischen Militärgefängnissen aufzeichnen. Es ist mir sehr wichtig, mitzuhelfen darüber aufzuklären, was dort geschieht. Es scheint sich ja niemand wirklich dafür zu interessieren, warum all diese Menschen von dort fliehen.
Ausserdem arbeite ich noch mit Jakob Hoffmann, Phillip Abresch und mir als Herausgeber und den ZeichnerInnen Volker Schmitt und Julia Bernhard, Melanie Garanin, Julia Zeijn und Mikael Ross an einem Buch im Auftrag des Hauses der Geschichte NRW. Darin erzählen wir Geschichten aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, inspiriert von der Sammlung des Pfarrers Werner Abresch aus Wesel, meiner Heimatstadt. Werner Abresch hat über 2000 Alltagsgegenstände gesammelt, die die Not und die Entbehrungen dieser Zeit dokumentieren. Viele dieser Objekte waren ursprünglich für den Krieg gedacht, man denke beispielsweise an den Stahlhelm, der zum Sieb oder zur Jaucheschippe umfunktioniert wurde. Mein Part in dem Buch ist, die Geschichte der Familie Abresch zu erzählen. Das Buch erscheint, wenn alles klappt, nächstes Jahr zur Leipziger Buchmesse im Avant Verlag. Und daneben bearbeite ich natürlich noch meine Illustrations-Auftragsarbeiten.
Hier geht es zum Verlag: Carlsen Comics
Und hier zu Tobi: https://www.tobidahmen.de/