Das Gastland der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt am Main sind die Philippinen. Erstaunlicherweise wird dort das erfolgreichste Literaturgenre von Graphic Novels besetzt. Natürlich ist das Land mit vielen seiner neuen Bücher im Gepäck angereist. Elf von zwölf philippinischen Comic-Neuerscheinungen veröffentlicht der Dantes-Verlag. Grund genug für ein Interview mit Verlags-Mastermind Josch – kurz vor Beginn der Buchmesse. Philippinen: Komiks mit „K“.

(Alex Jakubowski) Lieber Josch, elf von zwölf aktuellen Veröffentlichungen philippinischer Comics erscheinen in Deinem Verlag. Woher kommt Dein Interesse an Comics aus diesem Land – die dort ja interessanterweise mit K – also Komik – geschrieben werden?
(Josch Dantes) Mein Interesse an philippinischen Comics ist entfacht worden, als ich Alandal von Jay Philipp Ignacio und Alex Niño das erste Mal gesehen habe. Alandal ist mir 2023 von LitProm vorgeschlagen worden, dem inzwischen aufgelösten Verein zur Förderung literarischer Werke aus dem globalen Süden – übrigens von Deinem Alfonz-Kollegen Björn Bischoff. LitProm hat dann den Kontakt zu Paolo Herras vermittelt, dem Chef von KOMIKET, dem Alandal-Lizenzgeber. Die außergewöhnlichen Zeichnungen haben mich sofort begeistert. Und die Story hat mich direkt neugierig gemacht auf die geschichtlichen Hintergründe des Landes, wie die jahrhundertelange Kolonialherrschaft der Spanier. In meiner Begeisterung wollte ich dann natürlich sehen, was die philippinische Comiclandschaft sonst noch zu bieten hat. Woraufhin mir von Paolo einige aktuelle Titel aus dem KOMIKET-Programm vorgestellt worden sind. Seitdem hält er mich darüber auf dem Laufenden, was sich auf den Philippinen tut, und stellt mir regelmäßig neue Werke vor.

Paolo ist ein großartiger Botschafter des philippinischen Comics. KOMIKET ist nämlich nicht nur ein Verlag, sondern auch ein Interessensverband der Comicschaffenden, der Fortbildungen organisiert und Preise vergibt, eine Agentur und der Organisator zahlreicher Comicmessen in Manila und im ganzen Land. Dazu nachher noch mehr. Hier geht’s mir erst einmal nur um den Hinweis, dass die KOMIKET-Titel, die ich verlege, nur einen kleinen Teil des KOMIKET-Portfolios abbilden. Es gibt selbstredend auch philippinische Mangas, Superhelden- und Romance-Titel, Geschichten für ein Publikum im Erstlesealter und so weiter. Paolo kennt sie alle.

Im vergangenen Jahr hast Du mir auf dem Comic-Salon Erlangen von einer Einladung der philippinischen Regierung erzählt. Wie kam es dazu und was hast Du dabei erlebt?
Ich bin im April 2024 vom NBDB zu einer Verlegerreise eingeladen worden. Das NBDB (National Book Development Board) ist auf den Philippinen für die Leseförderung zuständig und dafür, den nationalen Buchmarkt zu entwickeln und zu fördern. Das NBDB ist Teil des PhiGoH, des Zusammenschlusses von mehreren philippinischen Behörden, die den Ehrengastauftritt des Landes auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse geplant und organisiert haben.
Anlass der Einladung an mich und vier weitere Kolleginnen und Kollegen aus anderen deutschen Verlagen war das 2. Philippine Book Festival in Manila. Zeitgleich war auch eine Delegation der Frankfurter Buchmesse in Manila vor Ort. Neben ein paar offiziellen Terminen am Vormittag hatten wir vor allem nachmittags auf dem Festival zahlreiche Gelegenheiten zu Gesprächen. Dadurch habe ich einen ziemlich guten Überblick über die aktuelle Comic- und Verlagsszene des Landes erhalten. Für mich war außerdem recht amüsant, im Gespräch mit Randy Valiente festzustellen, dass wir uns beim Comicfestival in München 2019 schon mal getroffen und bei einem Abendessen für Comickünstler viel Spaß gehabt hatten. Randy konnte sogar noch ein Foto von dem Abend damals herzeigen.
Konferenz mit Begleitprogramm – Rum? Rum!
Morgens stand immer eine Art Touri-Programm auf dem Plan. Wir hatten Gelegenheit, das Nationalmuseum zu erkunden, waren in der Nationalbibliothek, wo wir in den Büchersammlungen ehemaliger Präsidenten des Landes herumgestöbert haben und uns gezeigt wurde, wie Bücher restauriert oder in Blindenschrift übertragen werden. Auch ein Trip durch die historische Altstadt von Manila und der Besuch eines einheimischen Marktes sowie einer Mall und eines Streetfood-Festivals durften natürlich nicht fehlen.
Abends waren meist Dinner-Veranstaltungen mit diversen Würdenträgern sowie wichtigen Persönlichkeiten aus Politik und Literatur angesetzt, wo ich zum Rumtrinken gedrängt wurde – und der philippinische Rum ist verdammt gut. Dazu gab es richtig leckeres Käsefondue mit Tapas. Ein andermal stand ich am längsten Büfett an, das ich je gesehen habe – inklusive einer Armee von Köchen, die nur darauf gewartet zu haben schienen, dass ich meine Extrawünsche äußere. Es war eine echt abgefahrene Woche mit unglaublich vielen außergewöhnlichen Erfahrungen, die meine Begeisterung für das Land nur bestärkt haben.

© Dantes-Verlag
Der Schwerpunkt Deines Verlags liegt ja auf Independent-Comics – bisher vor allem aus den USA und auch aus Europa. Gibt es ein besonderes stilistisches Element, woran man Comics aus den Philippinen erkennen könnte?
Viele philippinische Comics sind eine einmalige Mixtur aus US-amerikanischen und asiatischen Einflüssen, woraus ganz eigene, oft unverkennbare, persönliche Erzähl- und Zeichenstile entwickelt werden. Mal sieht es mehr nach Manga aus, mal mehr nach westlichen Independent Comics, mal nach europäischer Graphic Novel, aber immer mit prägnanten eigenen Stilmerkmalen.
Was den Erzählstil angeht, findet sich viel Magie und Übernatürliches – und zwar nicht nur in Fantasy-Stoffen. Im philippinischen Alltag hat der Glaube nicht nur im katholischen Norden des Landes oder im islamischen Süden einen hohen Stellenwert. Du findest, wie beim nördlichen Nachbarn Japan, einen allgegenwärtigen, alles durchdringenden Animismus.
Die Magie ist sozusagen Teil des Alltags und dementsprechend tauchen viele übernatürliche Motive auch in Comics auf, in denen es vor allem um die Landesgeschichte oder um eigentlich recht diesseitige Stoffe zu gehen scheint. Magischer Realismus halt: Die Anderswelt ist immer nur eine Türschwelle entfernt.

Man könnte vermuten, dass auf den Inseln dort eine Art Manga-Stil umgesetzt wird. Das stimmt aber so gar nicht, oder? Woran liegt das?
Das liegt an der engen wirtschaftlichen Verbundenheit der Philippinen zu den USA. Die Vereinigten Staaten haben die Spanier um 1900 als Kolonialherren abgelöst. Dadurch kamen viele Produkte aus den USA auf den Inselstaat, wo natürlich auch die typischen US-Comics dabei waren – und zwar, anders als bei uns, nicht erst durch die GI nach 1945. Teilweise wird auch heute, fast achtzig Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit, noch immer vieles aus den USA importiert und, wie zum Beispiel Fernsehshows, Getränke und Lebensmittel, glorifiziert und den einheimischen Produkten vorgezogen.
Inzwischen ist aber zu beobachten, dass immer mehr Filipinos versuchen, durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Kultur des eigenen Landes ein Bewusstsein für ihre Herkunft und Identität zu entwickeln. Das zeigt sich vor allem in der Reihe Strange Natives, aber auch in Titeln wie Josefina, No Man Manila und dem schon weiter oben erwähnten Alandal.
Einfluss der USA
Und noch etwas: Zum typischen Manga gehört die ausufernde Erzählung. In einem Land, das keine eigenen Papiermühlen hat und in dem es nur sehr wenige Druckmaschinen gibt, ist die kurze Form aber natürlich naheliegender. Trese zum Beispiel ist ursprünglich auf dem Fotokopierer vervielfältigt und dann als handgetackertes Heft kapitelweise verteilt worden – bis der Titel bekannt genug war, um auch mal eine längere Episode riskieren zu können.
Wenn Du dann auch noch an die „untypischen“ Manga denkst, die Gekiga, wie sie zum Beispiel von Yoshihiro Tatsumi und den anderen sozialkritischen Garo-Zeichnern seit Mitte des vorigen Jahrhunderts vorgelegt worden sind, sind die Unterschiede zwischen japanischen und philippinischen Comics plötzlich gar nicht mehr so groß.

© Dantes-Verlag
Welchen Stellenwert haben Comics auf den Philippinen generell? Es ist zu lesen, dass dort mehr Comics als Bücher veröffentlicht werden.
In einem Land auf dem pazifischen Feuerring, wo viele nur damit beschäftigt sind, über die Runden zu kommen, hat das Lesen generell keine so hohe Priorität. Noch dazu wird Literatur erst seit wenigen Jahren wieder staatlich gefördert. Im Comicbereich hat sich, gemessen daran, besonders viel getan – dank Paolo Herras und KOMIKET. KOMIKET ist eine Non-Profit-Organisation, die, wie schon gesagt, jedes Jahr Preise für die besten Werke von unabhängigen Comic-Künstlern vergibt.
Das allein wäre noch nicht bemerkenswert. KOMIKET unterstützt aber die Autoren und Zeichner der eingereichten, preiswürdig erscheinenden Treatments beim weiteren Entstehungsprozess und bei der Veröffentlichung des fertigen Werks. Das Netzwerk, das Paolo auf diese Weise im Laufe der Jahre geknüpft hat, ist in dieser Form wahrscheinlich einzigartig auf der Welt.
Nimm die Festivals hinzu, vor allem das Philippine International Comics Festival (PICOF), das von Jahr zu Jahr immer größer und beliebter wird, und die internationalen Kongresse und Workshops mit Comicschaffenden aus Vietnam, Thailand, Malaysia und Singapur, um nur einige zu nennen, dann siehst Du eine kulturpolitische Macht, die sich mit dem teils staatlich geförderten und teils sehr kleinteilig agierenden philippinischen Literaturmarkt durchaus messen kann.
Hohe Wertschätzung von Comics
Ansonsten sind Komiks natürlich kostengünstiger und kürzer als Romane. Es werden also vermutlich Äpfel mit Birnen verglichen, wenn behauptet wird, es gäbe auf den Philippinen mehr Comics als Bücher. Sie haben aber, anders als in Deutschland, unbestreitbar einen hohen kulturellen Status. Vielleicht, weil der Nationalheld José Rizal auch Bildergeschichten im Stil von Wilhelm Busch gezeichnet hat.
Ein weiterer Grund für die derzeitige Wertschätzung der Komiks unter dem Dach der Literatur ist aber sicher auch Trese. Auf den Philippinen ist Trese ungemein populär und der meistgelesene Comic überhaupt. Das Kreativteam dahinter, bestehend aus Szenarist Budjette Tan und Zeichner KaJo Baldisimo, ist hauptberuflich in der Werbebranche tätig und hat keine Gelegenheit ausgelassen, Trese gut zu vermarkten.
Als die Netflix-Adaption des Comics 2021 veröffentlicht und auf den Philippinen mit riesigen Werbetafeln beworben wurde, haben die beiden veranlasst, dass diese Tafeln von Sprayern mit okkult aussehenden Graffitis „verziert“ wurden. Daraufhin haben Budj und KaJo Videos ins Internet gestellt, auf denen es aussieht, als würden übernatürliche Wesen die Werbetafeln besudeln. Diese Aktion hat die Serie auf einen Schlag auf dem gesamten Inselstaat und darüber hinaus bekannt gemacht.

Kommen wir zu den Neuerscheinungen, die Du mit auf die Frankfurter Buchmesse bringst. Greif doch bitte mal drei Bücher heraus, die Du uns besonders ans Herz legst.
Da wäre als Erstes Elmer zu nennen, gefolgt von Depikto und Trese 3 – Massenmorde.
Worum geht es bei den Büchern und was fasziniert Dich besonders an Ihnen?
In Elmer beschreibt Gerry Alanguilan eine Welt, in der Hühner plötzlich sprechen können und ein Bewusstsein entwickelt haben. Sie kämpfen daraufhin um ihre Anerkennung als menschliche Rasse. Elmer ist eine mitreißende Parabel über Diskriminierung und Vergangenheitsbewältigung. Dabei ist die Grundidee von Elmer so simpel wie genial: Was wäre denn, wenn es tatsächlich mehr als nur eine menschliche Rasse gäbe? In Elmer wird die Leitidee rassistischer Ideologien vom Kopf auf die Füße gestellt und ad absurdum geführt. Ein zutiefst menschliches Werk und ein großer Comic.
Depikto ist ein fesselnder Psychothriller, der den Leser auf einen surrealen Trip mitnimmt. Wer auf Filme von Alfred Hitchcock und Dario Argento steht, sollte Depikto mal eine Chance geben. Auch hier gefällt mir besonders die Auflösung … die ich jetzt natürlich nicht verraten werde.
In Trese 3 – Massenmorde erfahren wir endlich ein wenig mehr über Alexandra Treses Vergangenheit und Familie – und darüber, wer ihre „Jungs fürs Grobe“, die Kambal, eigentlich sind. Ich bin ja wegen Usagi Yojimbo und Sláine Verleger geworden, also wegen zwei Serien, in denen langsam ein riesiges, immer komplexeres Universum geschaffen wird. Trese gehört unbedingt in dieselbe Kategorie und im dritten Band bekommen wir zum ersten Mal einen kleinen Eindruck vom Ausmaß dessen, was uns Budj und KaJo in den Folgebänden noch erzählen werden.

Wirst Du das Land weiter verlegerisch begleiten? Womit können wir in den nächsten Monaten rechnen?
Selbstverständlich werde ich auch weiterhin philippinische Comics ins Programm nehmen. Renren Galeno (Sa Wala – Für nichts), Russell L. Molina und Ace C. Enriquez (beide Josefina) arbeiten bereits an neuen Titeln, an denen ich schon Interesse bekundet habe. Außerdem werden Strange Natives, Alandal und Trese fortgesetzt. Es sind laut Paolo gerade zwei weitere Strange-Natives-Bände in Arbeit und ich hoffe, dass Jay bald einen Zeichner findet, der sich traut, in die Fußstapfen von Zeichnerlegende Alex Niño zu treten.
Von Trese erscheinen auf den Philippinen zurzeit die Hefte des neunten Bands. Bei uns ist der zweite Zyklus mit den Bänden 4 bis 6 für 2026 geplant, gefolgt von zwei Spin-offs über Alexandra Treses Brüder und ihren Großvater. Ich werde natürlich auch weiterhin die Augen offen halten, welche Schätze es auf den Philippinen noch zu heben gibt.
