Die eigene Familie ist oft eine Herausforderung – zumal, wenn sie Teil einer Geschichte wird. Noch dazu, wenn ein Familienmitglied auf einmal abdriftet und Verschwörungstheorien glaubt. Ika Sperling setzt in Der Große Reset einen Plot um, der Erfahrungen aufgreift, die sie selbst in ähnlicher Form gemacht hat. Zu Recht war sie mit dieser Arbeit unter den Finalisten des Berthold Leibinger Preises und hat den Hamburger Literaturpreis gewonnen. Für den Max- und Moritz-Preis des Comic-Salons Erlangen war sie damit auch nominiert, für das beste deutschsprachige Debüt.
Eine Fahrt in die Heimat, zu Mama und Papa. Aus der Großstadt zurück ins Kaff. Dorthin, wo Protagonistin Ika aufgewachsen und wo Eltern und Schwester geblieben sind. Alles ist eigentlich wie immer, außer, dass der Vater sich verändert hat, sonderbar geworden ist. Es geht das Gerücht um, er wolle das Haus verkaufen, in dem die Familie lebt. Sich scheiden lassen, auswandern.
Zurück ins Kaff
Aber auch Ika bleibt zu einem guten Teil schwer greifbar. Das Leben in der großen Stadt scheint weit weg. Hinter ihren hellen Brillengläsern bleiben ihre Augen verborgen. Erst gegen Ende sieht man ihren verzweifelten Blick. Man ahnt, welche Hilflosigkeit und Verzweiflung die Verwandlung eines nahen Angehörigen auslösen kann.
Wenn man Der Große Reset googelt findet man neben Hinweisen auf das Buch auch Infos zu einer Verschwörungstheorie. Kurz gefasst sei die Corona-Pandemie von einer kleinen Elite geplant worden, mit der Absicht, die Welt grundlegend zu verändern – zurück zu setzen – natürlich nicht unbedingt mit guten Hintergedanken.
Verschwörung? Welche Verschwörung?
Den Vater zeigt Ika Sperling als eine Art Wassergeist. Durchsichtig fast, wie ein halbvolles Glas – unten mit Wasser gefüllt, oben leer. Irgendwie amöbenhaft, schwer zu fassen, wirr daherredend. Nur Schwester und Mutter sind greifbar. Die Gespräche aber oft voller Wut und Verletzungen. Wie es oft so ist, wenn ein Teil der Familie wegzieht und der Rest zusammenbleibt, obwohl man auch abhauen möchte.
Ika Sperling nutzt die Doppeldeutigkeit des Titels. Erzählt die Familiengeschichte und will eigentlich irgendwie zurück auf Null. Dorthin zurück, wo alles noch gut war. Die Familie intakt, der Vater normal, das eigene Leben so, wie man sich das vorstellt. Doch natürlich gibt es diesen Reset-Knopf nicht, den man einfach so drücken könnte.
Ich will mehr!
Der Große Reset: Eine herausragende Arbeit, die in ganz eigenem Stil ein bedrückendes Thema bearbeitet. Eine wunderbare Entdeckung, die Hoffnung darauf macht, dass die Hamburger Zeichnerin bald mit weiteren tollen Geschichten auf sich aufmerksam macht. Wie im neuen ALFONZ zu lesen ist, geht es dort um die Jugendkultur der 2010er Jahre. Ich bin gespannt.
4 von 5 Comic-Denkblasen
Angaben zum Buch: Der Große Reset. Text/Zeichnungen: Ika Sperling. HC, Farbe, 176 Seiten. Reprodukt. 24 €
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