Joann Sfar – Comics sind Teil der Debatte

Auf dem Comic-Salon in Erlangen hat er gerade den Sonderpreis für ein herausragendes Lebenswerk erhalten. Nach eigenen Angaben hat Joann Sfar bereits mehr als 300 Bücher veröffentlicht, von denen viele auch auf Deutsch erschienen sind. Zuletzt Die Synagoge und ganz aktuell Der Götzendiener. Der 52-jährige Franzose nutzte die Preisverleihung für einen Appell an die europäische Idee. Die er auch im Interview mit der Comic-Denkblase beteuert. Joann Sfar – Comics sind Teil der Debatte.
Joann Sfar während seiner Dankesrede. ©Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Erich Malter, 2024
(Alex Jakubowski) Lieber Joann, Du hast auf dem Comic-Salon Erlangen den Sonderpreis für Dein Lebenswerk bekommen. Was macht das mit dir?

(Joann Sfar) Es macht mich sehr, sehr glücklich. Christian Gasser (der den Preis moderiert hat, AJ) und ich kennen uns schon mehr als 30 Jahre. Ich war in der glücklichen Lage, beim Avant-Verlag veröffentlichen zu können, so dass ich eine sehr lange Beziehung zu meinem deutschen Verlag habe, bei dem ich hauptsächlich veröffentliche. Aber natürlich habe ich auch eine wunderbare Beziehung zu Reprodukt. Deutschland war das erste Land, das meine Arbeiten übersetzt hat. Also: Der Preis bedeutet mir sehr viel. Schon vor langer Zeit habe ich einen Max- und Moritz-Preis (schon 2004 als bester Szenarist) bekommen. Der Comic-Salon Erlangen war eines der ersten Festivals, die meine Arbeit unterstützt haben. Ich könnte nicht dankbarer sein.

Der 7. Oktober hat vieles verändert

Aus politischen und künstlerischen Gründen sind die meisten meiner Figuren lange Zeit Juden gewesen. Aber seit dem 7. Oktober bewegen mich sehr viele Fragen. Ich habe mit vielen jungen Leuten in Frankreich gesprochen. Und ich bin schockiert, wie sie die Erinnerung verloren haben, in Bezug auf Konflikte im Nahen Osten, in Bezug auf rechtsextreme Kräfte in Europa, in Bezug auf innergesellschaftliche Beziehungen. Ich war immer ein Verfechter des europäischen Gedankens. Die Idee der Demokratie, der freien Kulturen usw. Aber ich denke, das kann sehr schnell zusammenbrechen.

Sfar zwischen dem Erlanger OB Florian Janik und Christian Gasser (rechts). ©Foto: Alex Jakubowski

Ich versuche alles was ich kann, um die europäische Idee zu unterstützen, nicht nur in meinen Büchern. Herzlichen Dank an Donald Trump und seine Freunde (lacht). Wissend, dass wir in einer postfaktischen Welt leben, dass viele ihre Informationen von Tik-Tok beziehen, denke ich, dass wir die Beziehungen zwischen Autoren, Journalisten, Historikern und Lehrern stärken müssen. Eine Sache macht mich sehr glücklich: Ich mache nun schon seit mehr als 30 Jahren Comics – und heutzutage nehmen wir mit unseren Comics an der Debatte teil. Mit den Wissenschaftlern, mit den Journalisten, mit den Menschen, die Nachrichten verbreiten.

Comics sind Teil der Debatte

Ich empfinde mich selbst nicht als Journalist, aber Journalisten können meine Arbeit nutzen, Historiker ebenso. Für sich genommen halte ich Graphic Novels nicht für übermäßig wichtig, aber die Debatte ist wichtig und Graphic Novels nehmen daran teil. Und wann immer ich die Debatte unterstützen kann, bin ich froh.

Eine sehenswerte Ausstellung zeigt auch Sfars Skizzenbücher, die er immer mit sich führt. ©Foto: Alex Jakubowski
Comics also als Transportmittel?

Ja klar. Comics sind nicht nur Bücher – natürlich sind es Bücher, aber Du gehst irgendwo hin, triffst Dein Publikum, Du tauschst Dich aus. Das Buch ist wie ein gedeckter Tisch, an den sich die Menschen setzen und diskutieren. Ich liebe es, auf Lesereise zu gehen und die unterschiedlichsten Menschen kennenzulernen. Es ist hochinteressant, wie unterschiedlich bestimmte Inhalte ankommen, abhängig von dem Land, in dem ich gerade bin. Für mich ist das toll. Dadurch bekomme ich auf einer geistigen Ebene sehr viel Input.

Kommen wir zu Deinem Buch Die Synagoge. Wie deprimierend ist es für Dich, dass das Buch so aktuell ist?

(Lacht) Die Hölle ist überall, nur in anderen Farben. Nachdem das Buch erschienen ist, hatte ich ein großes ARTE-Interview. Wie ich im Buch zeige, war ich nie ein religiöser Jude. Es geht um die 1980er Jahre. Ich habe immer Predigten gehasst. Mein Weg, um nicht in die Synagoge zu müssen und mir die Predigt anzuhören, war: Ich wurde Türsteher vor der Synagoge in Nizza. Mein Vater hat das erlaubt. Und dann hat mich ARTE nach dem hier und heute gefragt. Und da habe ich gesagt: Um ehrlich zu sein, auch wenn wir den Terror heute haben, auch wenn die Rechtsextremen erstarken – Gewalt gegen Juden kommt aus ganz unterschiedlichen Ecken und aus unterschiedlichen Gründen. Und aus irgendwelchen Gründen haben sie diesen Satz nicht gesendet (lacht).

©DARGAUD, by Sfar / avant-verlag, 2023

Ich denke, das was in den 1980ern passierte, ist nicht mit heute vergleichbar. Was wir in den 80ern erlebt haben, war ein Aufflammen der Faszination für den Faschismus. Heute aber ist das etwas anderes. Die Rechtsextremisten wollen, dass alles auseinanderbricht. Viele Leuten haben das Gefühl, dass unsere Welt nicht mehr funktioniert. Aber die Rechtsextremisten scheinen irgendwie glücklich darüber zu sein. Ihre Art, sich über Missstände zu beschweren, ist so brutal.

Welche Rolle kann ein Comic-Künstler einnehmen in der gegenwärtigen politischen Situation?

Ich würde sagen, wir sind genauso nutzlos, wie jeder andere auch (lacht). Ich will die Macht eines Buches nicht überbewerten, vor allem verglichen mit der Kraft von Social Media. Aber es ist gut dafür, Beziehungen zwischen den Menschen herzustellen. Nochmal: zu Journalisten, Historikern, Lehrern. Menschen, deren Aufgabe es ist, eine Welt zu erklären, die Sinn macht. Vor allem gegenüber den Heranwachsenden.

Auszug aus Die Synagoge. ©2023 Avant-Verlag

Lass mich eine große Veränderung erwähnen. In den 1990ern war ich in Paris, hielt mich für einen pro-palästinensischen Juden. Ich ging zu vielen Versammlungen mit linken Aktivisten. Rund 20 Prozent derjenigen, die Palästina unterstützten, waren Juden, niemand hat uns dafür belangt. Wir haben viele palästinensische und israelische Intellektuelle empfangen, die die Nahost-Lage mit uns diskutiert haben. Selbst wenn wir unterschiedlicher Meinung waren, waren wir hinterher schlauer. Aber seit dem 07. Oktober passiert bei den studentischen Protesten folgendes: Niemand von ihnen hat mehr direkten Kontakt dorthin. Sie hören weder palästinensische noch israelische Stimmen. Was sie aber tun – und da fühlen sie sich angegriffen, wenn ich das sage – sie übernehmen die Kontrolle.

Es gibt keine einfache Lösung

Jeder ist empört – wegen des Krieges, wegen des Massakers, wegen der Geiseln. Das ist keine Frage. Aber der Punkt ist einfach, wenn ich mit den Heranwachsenden rede, dann haben sie einfach keine Ahnung vom Nahen Osten. Sie wollen aber auch keine haben. Als ich zu ihnen ging, dachte ich, sie wollen mich attackieren. Aber nein. Sie waren sehr wohlerzogen, aber sie wollten einfach keine Diskussion. Sie haben ihre Meinung darüber, was die Menschen dort denken. Deshalb sage ich noch einmal. Es geht hier nicht um ein Buch, es geht darum, zu reden, sich auszutauschen und zu akzeptieren. Es geht darum, dass eine Debatte bedeutet, dass man mit jemandem spricht, der eine andere Meinung hat, als man selbst. Und möglicherweise ändert man dann auch seine Meinung. Aber ganz ehrlich: Ich bin nicht sehr optimistisch, dass das passiert (lacht).

Beim Signieren… ©Foto: Alex Jakubowski
Warum wollen die Jugendlichen Deiner Meinung nach keine Debatte?

Kurze Antwort? Ich denke, ihr Leben spielt sich vor allem im Internet ab, das daraus besteht, möglichst viele Likes zu bekommen. Eine große Debatte hilft nicht dabei, viele Likes zu bekommen. Wir schaffen eine Gesellschaft, die immer mehr nach Twitter aussieht. Das ist nicht meine Vorstellung von einer Gesellschaft.

Im Vorgespräch hast Du ein neues Buch erwähnt, an dem Du arbeitest.

Es wurde vor zwei Monaten in Frankreich veröffentlicht. Es ist ein Buch mit 450 Interviewseiten, jüdische Persönlichkeiten, die ich befragt habe. Erst in Frankreich, dann in Israel. Es geht um die Zukunft der Juden.

Also kein Comicbuch?

Doch, doch, es ist ein Comic. Ich wollte die Menschen sehen, mit ihnen reden, ich wollte es möglichst lebendig haben. Was ich daraus gelernt habe ist, je mehr Du Dich mit dem Nahen Osten beschäftigst, umso weniger bist Du Dir über irgendetwas sicher. Wenn Du in Europa bist, dann hat jeder irgendeinen Plan, was im Nahen Osten gemacht werden sollte. Wenn Du aber dort bist, dann diskutierst Du mit Arabern und Juden. Du siehst sehr viel Trauer, viel Schmerz, viel Wut. Aber niemand würde es wagen zu sagen, er hat eine Lösung.

Die Menschen wollen einfach nur, dass der Horror aufhört, sie wollen ein Leben in Frieden. Es ist sehr interessant, wieviele Europäer einen Vortrag über den Krieg in einem fremden Land halten. Wenn Du dort bist, lernst Du die Realität kennen, Du erlebst riesige Verzweiflung. Und was es noch schlimmer macht: Du stellst fest, da sind so viele nette Menschen. Viele nette Menschen, die in einer höllischen Lage sind und die keine Ahnung davon haben, wie sie sich aus dieser Situation befreien können.

Originale aus der Erlanger Ausstellung. ©Foto: Alex Jakubowski

Puh. Das klingt sehr deprimierend. 

Um es nochmal in einem Satz zu sagen: Beim Zeichnen geht es darum, etwas herauszuarbeiten. Und deshalb hoffe ich, dass meine Leser meine Bücher mit großen Erwartungen öffnen. Und wenn sie dann reale Menschen treffen, verblassen die Erwartungen, und es setzt sich die Erkenntnis durch, dass man einem Individuum zuhört. Und dass das weitaus interessanter ist als alles, was man bisher für richtig gehalten hat.

Vielen Dank für das tolle Gespräch. ©Foto: Alex Jakubowski
Angaben zum Buch: Die Synagoge. Zeichnungen und Text: Joann Sfar. Aus dem Französischen: Annika Wisniewski. HC, Farbe, Avant-Verlag, 2023. 30,-€

Hier gehts zum Verlag: Avant

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