Stell Dir vor!

Man hat den Eindruck, Tobi Dahmen haut gerade einen Comic nach dem anderen raus. Nach dem tollen Erfolg seines Buches Columbusstraße hat er jetzt gemeinsam mit Jakob Hoffmann einen Sammelband herausgebracht. Es geht darin um Comics über die Nachkriegszeit. Ein spannendes Buch, bei dem auch Julia Bernhard, Volker Schmitt, Julia Zejn, Melanie Garanin oder Mikael Ross mitgewirkt haben. Tobi erklärt im Interview, worum es genau geht bei: Stell Dir vor!
Ausgangspunkt ist die Sammlung Abresch.
©2025 Tobi Dahmen
(Alex Jakubowski) Lieber Tobi, ganz einfache Frage zu Beginn: Wie kommt es zu dem Projekt?
(Tobi Dahmen) Ich saß zufällig bei meiner Mutter in Wesel am Esstisch und las die Zeitung. Sie hebt mir immer noch den Lokalteil der Rheinischen Post auf. In der Zeitung entdeckte ich einen Artikel über die Sammlung Abresch, die ich schon als Kind kennengelernt hatte. Ich war auch mit einem der Söhne in der Klasse. Die Sammlung war an das Haus der Geschichte NRW verkauft worden, die Geschichten einzelner Objekte daraus wurden in dem Artikel beschrieben. Sofort ging mir durch den Kopf, dass es doch sicherlich wertvoll wäre, die Geschichten hinter den Objekten der Sammlung in Comics zu erzählen. Und damit auch gleichzeitig die Not der Nachkriegszeit zu beschreiben. Ich habe als nächstes den Sohn und Journalisten Philipp Abresch, den ich kurz vorher noch getroffen hatte, angesprochen und ihm meine Idee erzählt. Er war direkt angetan davon. Danach habe ich Jakob Hoffmann als Mitredakteur dazu gezogen, konkreter wurde das dann auf dem Comic Salon 2022. Zusammen haben wir dann ein Exposee erstellt, und dieses zu dritt dem Haus der Geschichte NRW vorgestellt. Die waren direkt Feuer und Flamme. Das Haus der Geschichte NRW hat nämlich noch keinen Ort um die Ausstellung zu zeigen, in den nächsten Jahren wird der Behrensbau in Düsseldorf umgebaut, um dort dann die Ausstellungen des Hauses der Geschichte NRW zu beherbergen. Das wird aber noch ein paar Jahre dauern, bis es fertig wird. Inzwischen tourt das Museum mit Container-Ausstellungen durch Nordrhein-Westfalen. Und unser Buch macht es parallel ebenfalls möglich, die Arbeit des Hauses zu präsentieren.
Das Cover des neuen Buches.
©2025 Tobi Dahmen
Hattest Du nicht mit Columbusstraße eigentlich schon genug um die Ohren?
Definitiv richtig. Ich weiss noch genau, wie ich meiner Frau zuhause in Utrecht von der Idee erzählt habe. Ihre Antwort: Ach ja, und dafür hast du Zeit! Tatsächlich war der eigentlich Plan, dass ich mit Stell Dir vor! beginnen wollte, sobald ich mit dem Zeichnen der Seiten für die Columbusstraße fertig sein würde. Aber ich habe die Arbeiten daran auch ein wenig unterschätzt. Erst mussten noch dreißig weitere Seiten gezeichnet werden, die Kolorierung mit Grautönen hat wahnsinnig viel Zeit gekostet, die Korrekturrunden natürlich auch etwas, dann gab es noch ein Glossar und eine Ausstellung vorzubereiten und nach der Veröffentlichung ging der Trubel erst richtig los. Aber weil sich eben alles so verschoben hat, konnte ich mir nach der Columbusstraße keine Pause gönnen, sondern hab direkt mit Stell Dir Vor! weitergemacht. Und musste mir auch für die Kolorierung noch Hilfe mit Ralf Marczinczik und Jan Thüring dazu holen. Und Jakob hat viele Aufgaben übernommen, die wir eigentlich gleichwertig verteilen wollten.
„Stell Dir vor!“
©2025 Tobi Dahmen
Ausgangspunkt ist die Sammlung von Werner Abresch, der Dinge gesammelt hat, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Haushalt verwendet wurden. Der rote Faden auch für das gesamte Buch, oder?
Richtig, es gibt vier Geschichten, die sich um konkrete Objekte drehen. Die Geschichte um das Hochzeitskleid aus Fallschirmseide, die Volker Schmitt geschrieben hat und Julia Bernhard illustriert, die Geschichte um ein Fahrrad mit Vollgummireifen, das wichtig war zur Beschaffung von Essbarem, gezeichnet von Julia Zeijn. Ausserdem gibt es noch die Geschichte eines Topfes aus Flugzeugteilen, anhand dessen drängende Fragen über Schuld und Verantwortung hochkochen. Und wir haben die besondere Geschichte des Bandoneons von Willie Hild beschrieben, gezeichnet von Mikael Ross, weil wir natürlich eine Geschichte eines Verfolgten des NS-Regimes erzählen wollten. Die Rahmenhandlung, die Geschichte der Sammlung und der Familie Abresch habe ich gezeichnet.
Wie seid Ihr bei der Auswahl der beteiligten Künstler:innen vorgegangen?
Wir wollten in jedem Fall unterschiedliche Zeichenstile abbilden, die aber doch miteinander harmonieren würden. Gleichzeitig waren wir natürlich auch darauf angewiesen, wer überhaupt die Zeit und die Muße für so ein Projekt aufbringen konnte. Ursprünglich war noch Jennifer Daniel dabei, die ja aus Düsseldorf stammt, und mit der ich gerade an der internationalen Anthologie ‚Das unvorstellbare Zeigen‘ mit Holocaust Geschichten gearbeitet habe. Sie musste dann allerdings aus persönlichen Gründen leider abspringen, dafür sind dann glücklicherweise Julia Bernhard und Volker Schmitt eingesprungen.

„Der Schneider, der vom Himmel fiel”
©2025 Julia Bernhard und Volker Schmitt
Habt Ihr irgendwelche Vorgaben gemacht?
Relativ wenige, uns war vor allem wichtig, dass sich die Künstler:innen in ihren Geschichten auch entfalten konnten. Genau geklärt sind ja nur die wenigsten der Hintergrundgeschichten der Objekte. Auch wenn Werner Abresch immer versucht hat, noch so viel wie möglich herauszubekommen. Aber statt uns genau an die paar Stichworte zu halten, wollten wir die unmittelbare Nachkriegszeit mit unseren Mitteln so umfassend wie möglich nachzeichnen. Und eben vor allem die großen Themen dieser Zeit abbilden: die dramatische Ernährungslage, Traumata, Schuld, Neuordnung des Alltags in verwüsteten Städten und natürlich das große Schweigen. Gleichzeitig wollten wir natürlich auch im Sinne von Werner Abresch handeln, und standen hierfür im engen Austausch mit seiner Frau Inge und seiner Familie. Das Haus der Geschichte NRW hat unsere Arbeit parallel begleitet und hat aufgepasst, dass wir alle historischen Fakten korrekt abbilden.
„Ein Flugzeugtopf“. ©2025 Melanie Garanin
Welchen Effekt erhofft Ihr Euch von dem Buch?
Meine ursprüngliche Motivation war, nicht nur zu zeigen, wie sehr sich Werner Abresch für ein Miteinander und den demokratischen Diskurs im Kleinen eingesetzt hat, sondern auch wie er anhand dieser Sammlung unter Beweis stellte, was wir erreicht haben seit dieser dunklen Zeit. Wie wertvoll diese Demokratie ist, in der wir leben. Es gibt wieder so viele zerstörerische Kräfte, die ein Miteinander verhindern und uns gegeneinander aufhetzen wollen. Während wir die grossen Herausforderungen unserer Zeit nur lösen können, wenn wir die Gemeinsamkeiten untereinander suchen. Werner Abresch war ein Verbinder. Er hat seine Kirche für Veranstaltungen geöffnet, ist auf Menschen zugegangen, auch in Schulen und hat  immer das Gespräch gesucht. Insofern hoffe ich, dass man beim Lesen merkt, in welchem Luxus wir heute leben, und wodurch dies überhaupt wieder möglich geworden ist. Und uns gleichzeitig dafür zu sensibilisieren, das erreichte auch gegen die zu verteidigen, die es zerstören wollen. Und aber auch für die da zu sein, denen es nicht so gut geht wie uns. Ich denke, man kann sich über den Vergleich mit der deutschen Nachkriegszeit mit seinen unglaublichen Zerstörungen und massiven Flüchtlingsströmen auch vorstellen, wie es an anderen Krisenherden der Welt aussieht. Wie Werner Abresch sagte: Nachkriegszeit ist immer irgendwo. 
„Wie lange sind sieben Jahre?“ ©2025 Mikael Ross
Angaben zum Buch: Stell Dir vor! Comics über die Nachkriegszeit.  Flexicover, 184 Seiten, Avant-Verlag. 26,- Euro.

Hier gehts zum Verlag: Avant

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