Nils: Von Tod und Wut. Und von Mut.

Es gibt für Eltern nichts Schlimmeres, als das eigene Kind zu verlieren. Melanie Garanin ist genau das passiert. Um den Tod zu verarbeiten, hat die Künstlerin eine Graphic Novel darüber gestaltet. „Nils. Von Tod und Wut. Und von Mut.“ Ein Buch, das voller Liebe steckt, voller Leid – aber auch voller Zuversicht. Ein bemerkenswerter Comic, der wieder einmal zeigt, dass man mit dem Medium auch schwere Themen wunderbar umsetzen kann.

Ein gezeichnetes Tagebuch hilft beim Blick auf das Leben des verstorbenen Nils ©Carlsen Verlag GmbH Hamburg 2020

Um das Buch zu bewerben hat der Carlsen-Verlag einen Film produzieren lassen https://www.youtube.com/watch?v=tn2YwvD2jHg&feature=emb_logo. Darin beschreibt Melanie Garanin, wie es zu dem Buch kam und wie sie den Tod ihres Sohnes verarbeitet hat. Selten hat mich ein Beitrag zu einem Comic so mitgenommen. Natürlich hat dieser Film auch Erwartungen geweckt. 

Zeichnen als Trauerarbeit

Für die Zeichnerin und Mutter war das Arbeiten am Buch auch Trauerbewältigung. Die freiberufliche Illustratorin hat bisher vor allem gemalte Kinderbücher gestaltet. Deshalb verwundert es auch nicht, dass auch der Comic auf den ersten Blick, wie ein Bilderbuch daher kommt. Es fehlen echte Panelgrenzen, viele Seiten gehen fließend ineinander über, klassische Sprechblasen gibt es nicht.

Schwester des Bilderbuchs, Cousine des Comics

„Die Graphic Novel, als große erwachsene Schwester des Bilderbuchs und die Cousine vom Comic, ist für mich einfach die perfekte Form, perfekter geht es nicht. Text und Illustration miteinander ganz frei auf großen Seiten, die man einfach so füllen kann, wie es gut ist für die Geschichte; mit Dialogen, epischen Bildern, Texten, kleinen Nebenschauplätzen. Passt grandios“, meint Melanie Garanin im Interview mit dem Carlsen-Verlag.

Cover zu Nils. ©Carlsen Verlag GmbH Hamburg 2020

Im Jahr 2015 erkrankt ihr Sohn Nils an Leukämie. Natürlich ist das ein Schock für die gesamte sechsköpfige Familie. Melanie Garanin verarbeitet dies zeichnerisch parallel in ihrem privaten Blog. Gleichzeitig kämpft sie um das Leben ihres jüngsten Sohnes. Und sie kämpft mit dem Krankenhaus und später mit der Justiz.

Hätte Nils eine Chance haben können?

Die Zeichnungen aus dem Blog sind die Grundlage für die Graphic Novel. Als Nils seinen Kampf verliert, steht im Comic ein nüchterner Satz. Keine Zeichnung, zwei fast komplett leere Seiten: „Nils stirbt am frühen Morgen des 5. Juli“ steht dort handschriftlich. Die Leere trifft auch den Leser. Man ahnt, wie es sein muss, so eine Nachricht zu bekommen. 

Melanie Garanin fängt Stimmungen gekonnt ein. ©Carlsen Verlag GmbH Hamburg 2020

Auch wenn es paradox klingt: die leeren Seiten sind beispielhaft dafür, wie Garanin arbeitet. Die Zeichnerin setzt Bilder, Farben und Schrift so gekonnt ein, dass sie trotz des traurigen Themas nicht in Selbstmitleid versinkt. Aber sie zeigt, wie schwierig es ist, Gerechtigkeit zu bekommen. Denn Nils ist offenbar an einem Behandlungsfehler gestorben. 

Behörden, Beschwerden, Beileid

Der Kampf mit den Verantwortlichen und der Justiz wird im Buch sehr textlästig umgesetzt. Anfangs sind die Seiten bunt. Dort, wo Nils gezeichnet wird, als Figur noch vorkommt. Nach seinem Tod wird die Grundstimmung auch farblich grau. Die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung bekommen ein Übergewicht. Nur der Titel läßt hoffen: „Nils. Von Tod und Wut. Und von Mut.“

Nils ist tot. ©Carlsen Verlag GmbH Hamburg 2020

Am Ende betritt Garanin gewohntes Terrain. Denn das letzte Kapitel wird vollends zum Bilderbuch. Doppelseitige Zeichnungen, wenig Text. Doch das passt, wirkt stimmig. Im Epilog wird schließlich die Frage aufgeworfen, ob die Familie es geschafft hätte, wieder glücklich zu werden. „Joa, wir sind dabei“, heißt es dort. 

Hoffnung? Gibt es Hoffnung?

Im Interview mit dem Carlsen-Verlag erklärt Melanie Garanin: „Humor ist vielleicht das Wichtigste, was es beim Schildern schlimmer Erlebnisse gibt. Ich hatte und habe grundsätzlich den Vorsatz, niemanden mit der Schwere und der Traurigkeit meiner Geschichte in irgendwelche Abgründe zu stoßen. Das will ich keinesfalls. Jeder, der so nett ist und sich darauf einlässt, die Geschichte von Nils zu lesen, hat es verdient, dass ich ihn damit nicht komplett fertig mache.“

Künstlerin Melanie Garanin ©Carlsen Verlag GmbH Hamburg 2020

Dennoch ist das Buch bedrückend. Denn die Geschichte ist bedrückend. Ihre Umsetzung aber macht das Werk gerade lesenswert. Vor allem für diejenigen, die davon ausgehen, dass Comics immer komisch sein müssen. 

4 von 5 Comic-Denkblasen

Angaben zum Buch: Nils. Von Tod und Wut. Und von Mut. Text und Zeichnungen: Melanie Garanin. Hardcover, farbig. 200 Seiten. Carlsen-Verlag. 22,-€

Backcover von Nils ©Carlsen Verlag GmbH Hamburg 2020

2 Kommentare

  1. Ich bin dabei, den „Nils“ an eine Mutter zu vermitteln, der 5jähriger Sohn vor einem Jahr verunglückte. Ich habe die Hoffnung, das Buch könnte sie vielleicht in ihrer abgrundtiefen Verzweiflung und Wut erreichen.
    Ich bin Ärztin und Psychotherapeutin.
    Das Buch hat mich tief berührt.

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