„Wie geht es Dir?“ Diese Frage stellen sich Zeichner*innen seit dem Überfall der Hamas vom 07. Oktober 2023 immer wieder. Mit einem gemeinschaftlichen Comic-Projekt wollen sie ein Zeichen setzen gegen Antisemitismus, Rassismus und Hass. Seit dem 02. Januar 2024 veröffentlichen viele Künstler*innen deshalb ihre Comics auf der Homepage der Initivative. Ihre Art, das Schweigen zu durchbrechen. Darunter etwa Reinhard Kleist, Bernd Kissel, Barbara Yelin oder auch Moritz Stetter – einer der Initiatoren. Mit ihm habe ich ein Email-Interview zu dem Projekt geführt. „Wie geht es Dir?“ – Zeichner*innen gegen Antisemitismus, Rassismus und Hass.
(Alex Jakubowski) Lieber Moritz, wie geht es Dir?
(Moritz Stetter) Privat und beruflich geht es mir gut, danke der Nachfrage. Als politisch denkender Mensch blicke ich jedoch mit wachsender Sorge auf die Entwicklungen weltweit.
Die Frage kommt natürlich nicht von ungefähr. Wir reden über Euer Projekt mit dem gleichen Namen. Was hat es damit auf sich?
„Wie geht es dir?“ ist ein gemeinschaftliches Comicprojekt im Dialog mit Betroffenen. Es entstand relativ spontan nach dem 7. Oktober 2023 aus dem Gefühl heraus, angesichts von Antisemitismus, Hass und Rassismus in der Gesellschaft nicht länger untätig sein zu wollen und zu können. Ich gehöre zu den Initiator*innen und kuratiere das Projekt zusammen mit Hannah Brinkmann, Nathalie Frank, Michael Jordan, Barbara Yelin und Birgit Weyhe, beratend unterstützt durch Véronique Sina von der Goethe-Universität Frankfurt und dem Comic-Salon Erlangen.
Der 7. Oktober ist jetzt ja schon fünfeinhalb Monate her. Euer Projekt ist bereits eine Weile am Laufen. Wie schafft Ihr es dennoch, immer wieder neuen Content zu gewinnen?
Das verdanken wir zum einen den vielen tollen Kolleg*innen, die bereit sind, ohne Bezahlung eine Comicseite für uns zu zeichnen. Und zum anderen den vielen wundervollen Gesprächspartner*innen, die ihre individuellen Geschichten und Perspektiven mit uns teilen.
Gibt es irgendwelche inhaltlichen oder gestalterischen Vorgaben?
Es geht uns nicht um politische Pamphlete oder künstlerische Selbstbespiegelung, sondern darum, betroffenen Menschen eine Stimme zu geben. Wir achten bei den Beiträgen sehr auf ausgewogene Formulierungen und Standpunkte. Wir wollen schließlich mit unserem Projekt den Dialog fördern und nicht die Stimmung zusätzlich aufheizen. Darum schicken alle Teilnehmenden vor der finalen Umsetzung einen Entwurf, der von uns als Kurationsteam (und in manchen Fällen zusätzlichen Personen) einem Sensitivity Reading unterzogen wird. Um unser Projekt inhaltlich zusammenzuhalten, ist uns der Bezug zum 7. Oktober und der Fokus auf Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit wichtig. In Ausnahmefällen wollen wir uns auch anderen aktuellen, brisanten gesellschaftspolitischen Entwicklungen widmen. So sehr wir das Sichtbarmachen aller Diskriminierungserfahrungen wichtig finden, müssen wir hier aber schon darauf achten, dass unser Projekt seine Kontur und Intention behält.
Wie kommt Ihr zu den teilnehmenden Zeichner*innen?
Das entwickelt sich alles sehr organisch. Die deutsche Comicszene ist ja heute gut vernetzt. Wir haben alle einfach ein paar Kolleg*innen angeschrieben, deren Arbeit wir schätzen und für unser Projekt als passend empfinden. Ein paar mussten aus ökonomischen Gründen absagen, andere weil sie sich in ihrer Arbeit zu dem Thema oder allgemein nicht politisch äußern wollen, wieder andere weil sie emotional zu sehr involviert sind. Alles nachvollziehbare Gründe. Dafür haben sich dann aber auch einige Kolleg*innen gemeldet und von sich aus ihre Mitarbeit angeboten, nachdem wir im Januar an die Öffentlichkeit gegangen waren.
Wie ist die Resonanz auf Eure Veröffentlichungen?
Überwältigend positiv. Vor allem im Januar und Februar hatten wir viele unendlich berührende Rückmeldungen und Kommentare bei Instagram. Betroffene Menschen finden sich in den Geschichten wieder und fühlen sich gesehen. Andere sind emotional berührt und begreifen die Erfahrungen und inneren Konflikte betroffener Personen. Wir hatten uns im Vorfeld auf die üblichen Saalschlachten der Kommentarspalten eingestellt, aber bisher läuft alles sehr zivilisiert ab. Die deutsche Comicszene ist zum Thema Nahostkonflikt natürlich genauso gespalten wie der Rest der Gesellschaft. Da erreichte uns speziell am Anfang hinter den Kulissen neben hochwillkommener konstruktiver Kritik auch die ein oder andere Unterstellung oder manch ein Gerücht. Aber ich denke, inzwischen sprechen die Beiträge für sich.
Ist vielleicht sogar eine klassische Buchveröffentlichung geplant?
Dafür sind wir natürlich offen, konkret geplant ist aber noch nichts. Es wird eine Ausstellung beim Comic-Salon Erlangen dieses Jahr geben. Andere Institutionen und Verbände fragen auch bereits an, ob sie die Arbeiten ausstellen dürfen. Unsere Geschichten werden also auf jeden Fall noch auf die ein oder andere Reise gehen.
Ist ein Ende absehbar?
Den Comic-Salon Erlangen habe wir uns als Kurationsteam nun erstmal als Ziel gesetzt. Danach wird unsere ehrenamtliche Tätigkeit im jetzigen Umfang nicht mehr zu leisten sein. Es werden aber bestimmt auch darüber hinaus noch neue Comics entstehen und auf unseren Plattformen veröffentlicht. Das Thema wird ja leider so schnell nicht an Brisanz verlieren.