Die sieben Leben des Stefan Heym

Comics zu bedeutenden Schriftstellern liegen derzeit im Trend. Man denke nur an die Fülle an Veröffentlichungen, die anläßlich des 100. Todestages von Franz Kafka im Juni auf den Markt gekommen sind. Einem ganz anderen Autor aber widmet sich das Buch, um das es hier geht: Die sieben Leben des Stefan Heym ist eine aufwändige, fast 300-seitige Arbeit, die sich Leben und Werk dieses deutschen Autors widmet. Gerald Richter hat das Konzept für das Buch entwickelt, den Text dazu geschrieben und gibt uns im Interview Einblick in den Entstehungsprozess und die Absicht hinter der Veröffentlichung.
©2024 C.Bertelsmann Verlag München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

(Alex Jakubowski) Lieber Gerald, zum Einstieg: Wie kommt es zu dem Buch?

(Gerald Richter) Ich habe mit Freunden 2011 Aktion © gegründet, zunächst gegen rechtes Gedankengut in Chemnitz, aber ziemlich bald ist klar geworden, dass wir da ganz früh anfangen müssen, bei Kindern und Jugendlichen. Ich habe dann das Kunstprojekt für Frieden und Toleranz initiiert, bei dem schon fast 3000 Meter Banner und Plakate von Kindergärten und Schulen gestaltet worden, die wir zum Chemnitzer Friedenstag dann am Rathaus und anderen Gebäuden aufhängen. 2017 ist mir zum Friedenstag Marian Kretschmer über den Weg gelaufen. Wir haben zusammen einen Workshop Bannergestaltung in der Oberschule Niederwiesa durchgeführt, der von der SEBIT gefördert wurde. Ziemlich bald hat mir Marian gesagt, dass er gern eine Graphic Novel herausbringen würde und dafür jemand sucht, der die Organisation, die Inhalte und Texte übernimmt. Wir hatten auch über Mahatma Gandhi nachgedacht. Die Idee Stefan Heym stammt von Marian. Heym kommt ja aus Chemnitz, da könnte man das Buch hier in Chemnitz starten lassen. Mir ist Heym seit meiner Jugend bekannt, ich mag ihn sehr und habe schon früh alles gelesen, was von ihm für mich erreichbar war.

Das Cover des neuen Buches. ©2024 C.Bertelsmann Verlag München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Warum gerade Stefan Heym? Was hat Dich besonders an diesem Autor interessiert?

Ich bin 68, habe als Architekt Kindergärten, Schulen und Hochschulen saniert und neu gebaut. In der Wende habe ich die Bürgerinitiative Pädagogik mit gegründet und aus dieser heraus das Chemnitzer Schulmodell mit aufgebaut und war dann dort viele Jahre Vereinsvorsitzender. Es ist ein reformpädagogisch orientiertes Schulprojekt.

Bei den Kunst-Workshops ist mir aufgefallen, wie wenig Jugendliche über die Vergangenheit wissen, dass viele Angst vor der Zukunft haben, zumindest blockiert sind, weil sie denken, dass sie es ja nur falsch machen können. Keiner kann ja vorhersehen, welche Krise als nächstes kommt und wohin sich die Gesellschaft entwickelt. Die gemeinsame Idee war deshalb, ein Buch über eine Person vom Leben bis zum Tod und an dieser das 20. Jh. mit seinen Kriegen und Krisen zu erzählen. Für Heym sprach sein sehr langes Leben mit den vielen ungewollten Brüchen und dass er bis zum Schluss so produktiv war und sich immer eingebracht hat.

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Ihr seid chronologisch vorgegangen. Du hattest pro Jahr maximal ein paar wenige Seiten. Wie sehr ist diese Verknappung für Dich ein Problem gewesen?

Ich habe mich für die Graphic Novel an Heyms Nachruf orientiert und beim Lesen eine Tabelle angelegt, in der ich mögliche Bildideen mit Kurztexten notiert habe, dazu die Quellenangeben aus dem Nachruf und anderen Werken. 

Mir wurde schnell klar, dass man das Leben nicht erklären kann, ohne für Jugendliche die Zeitumstände zu erklären, deshalb die Geschichtseinschübe zum 1. WK, dem Aufstieg Hitlers, die McCarthy-Ära in den USA, der kalte Krieg. Und natürlich soll ja die Novel zum Werk führen, deshalb die Werkseinschübe wie Die Kreuzfahrer, Die Architekten usw. Viel Stoff für ein Buch, das nicht ausufern sollte.

Die Gedichte am Anfang des Buches geben gut die Stimmung Heyms wieder. Überhaupt habe ich, wo es ging, Heym selbst in seinen Texten sprechen lassen. Die Quellenangaben am Ende gestatten das Nachlesen. Ahasver haben wir dann in Absprache mit dem Lektorat weggelassen. Überhaupt mussten wir kürzen, mindestens 1/3 des Textes, dazu die Grafik über 2000 Jahre Judenverfolgung. Ein paar Doppelseiten sind weggefallen, die zum Verstehen nicht zwingend notwendig waren. Wir wollten die Lesenden ja nicht überfordern.

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Wie kann man sich die Zusammenarbeit zwischen Dir als Autor und Deinem Partner, dem Illustrator Marian Kretschmer, vorstellen?

Ich habe den Besuch bei Inge Heym organisiert und habe dort die Fotoalben abfotografiert. Da hatte Marian das erste Futter für seine Zeichnungen. Der nächste Schritt waren die Recherchen. Ich habe nach Bildern aus der jeweiligen Zeit gesucht und meine Tabellen in ein Storyboard umgesetzt. Wir wollten authentisch sein. Wie sah ein Zug damals aus, Demonstrationen, die Gebäude…

Marian hat die Storyboard-Seiten als Doppelseiten arrangiert und die Bilder auf verschiedenen Hintergründen platziert, die dadurch als zusammengehörend erkannt werden. Ich habe in die Doppelseiten dann im Powerpoint Texte und Sprechblasen dazu geschrieben. Das ist dann als Datei an den Grafiker Andreas Wolke gegangen, der die Seiten als Buchdatei angelegt hat, mit dem Zeitstrahl und den Kapitelangaben.

Zwischen mir und Andreas gab es mehrere Überarbeitungen, um die Lesbarkeit und das Verständnis zu verbessern. Da haben wir Marians Seiten teilweise auseinandergenommen, die Bilder verkleinert und dann die Texte dazwischen platziert.

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Zu Beginn sagt Heyms Witwe: Ja das wäre toll, wenn die jungen Leute dadurch Stefans Bücher lesen würden. Welchen Wunsch hast Du bezüglich Eures Buches?

Wir hoffen, dass das Buch jungen Menschen hilft, aus der Geschichte zu lernen und selbst aktiv zu werden. Wenn junge Menschen an den Schnittstellen von Heyms Leben überlegen, wie sie sich entschieden hätten, könnten sie eine Orientierung für künftige eigene Entscheidung bekommen.

Autor Gerald Richter (links) und Illustrator Marian Kretschmer ©privat

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