Der Ch. A. Bachmann Verlag – Bücher über Comics

Wie Ihr wisst, bin ich großer Fan von Sekundärliteratur zu Comics. Ein Verlag, an dem man hierbei nicht vorbei kommt, ist der Verlag von Christian Bachmann. Wie er mir im Interview verrät, veröffentlicht er dort vor allem Bücher, die einen wissenschaftlichen Anspruch haben. Ich finde, dass ihm hier der Spagat gelingt, zwischen Wissenschaft und Popkultur. Zeit, den Verlag und seinen Macher mal ein wenig vorzustellen: Der Ch. A. Bachmann Verlag – Bücher über Comics.
Auszug aus Grenzverkehr.
© Ch. A. Bachmann Verlag

(Alex Jakubowski) Lieber Christian, Du veröffentlichst in Deinem Verlag Sekundärliteratur zu Comics – gerne mit wissenschaftlichem Anspruch, aber nicht nur. Beschreib uns doch bitte den Weg hin zu Deinem Verlag.

(Christian Bachmann) Nachdem ich in den 1980er Jahren mit Yps, Micky Maus-Magazin, Lustigem Taschenbuch, Gespenstergeschichten und Werbecomics auf Kakaopackungen aufgewachsen bin, hatte ich Comics (zugunsten von Computerspielen) für einige Zeit aus den Augen verloren. Im Studium an der Ruhr-Universität Bochum bin ich dann wieder auf sie aufmerksam gemacht worden. Mein Blick auf Comics, Bildergeschichten, Graphic Novels und ihre Ästhetiken und Erzähltechniken – die ja heute in vielen anderen visuellen Medien wie Bilderbüchern, Karikaturen und Computerspielen Verwendung finden – war also von dieser Wiederaufnahme an wissenschaftlich geprägt. Mich hat fasziniert, was Comics narrativ alles zu leisten vermögen. Vielleicht liegt es daran, dass ich Aphantasiker bin, dass mich Bildmedien anziehen. Gleichzeitig haben mich die Qualität einer Zeichnung, die Nuancen einer Kolorierung oder die Größe der Muskeln eine Superheldin nie wirklich gepackt.

Christian Bachmann. © Zeichnung: Anne Becker

Im Studium war ich in die Herausgabe einer kurzlebigen Literaturzeitschrift involviert, in deren Kontext eine Schriftenreihe für Abschlussarbeiten entstand. Daneben wollte ich 2007 eine zweite Reihe speziell für Comicforschung etablieren. Als ich auf (gar nicht unberechtigte) Widerstände stieß, habe ich den Rahmen dafür kurzerhand mit einem eigenen Verlag geschaffen. Als Hilfskraft am Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft hatte ich die Grundlagen der Textarbeit und Redaktion gelernt, und Medien gestalten konnte ich glücklicherweise schon. Den Rest musste ich mir überwiegend selbst erarbeiten. Auf dem Weg habe ich fantastische Menschen kennenlernen dürfen, die als Autorinnen und Autoren begonnen haben und mit der Zeit Freunde wurden.

Welche Kriterien hast Du bei der Auswahl der Bücher, die Du veröffentlichst?

Alle Bücher, die mir angeboten werden, betrachte ich schon ein kleines bisschen als ‚meine‘ Bücher und möchte für sie etwas erreichen. Bei manchen Manuskripten beginnt das leider damit, dass ich sie ablehnen muss, weil mein Verlag für sie der falsche Rahmen wäre. Alle Manuskripte müssen in das Verlagsprogramm passen, in dem sie erscheinen sollen. Alle Autor*innen sind deshalb gut beraten, nicht blindlings Manuskripte zu versenden, sondern zuerst die Passigkeit des eigenen Textes vor dem Hintergrund der vorhandenen Verlagspublikationen sorgfältig abzuwägen.

Abgesehen von der Qualität der Manuskripte, gibt es im Wesentlichen zwei miteinander verbundene Kriterien, die ich berücksichtige. Zum einen ist das Profil meines Verlags in erster Linie geisteswissenschaftlich, weshalb in erster Linie wissenschaftliche Publikationen in Frage kommen: Doktorarbeiten (seltener andere Abschlussarbeiten), Tagungsbände und Einzelstudien zu literatur- und medienwissenschaftlichen Themen, Comicforschung, Buchwissenschaft und verwandten Gebieten sind herzlich willkommen. Zum anderen muss dabei die Form stimmen. Ich veröffentliche grundsätzlich keine Belletristik, Lyrik oder Comics, es sei denn, sie stehen im direkten Bezug zur Wissenschaft. Eine Doktorarbeit in Comicform aus dem Bereich der Literaturwissenschaft ist also durchaus willkommen, eine Comic-Dissertation zur Astrophysik dagegen nicht (obwohl ich so ein Buch persönlich gerne lesen würde und im Falle des Falles noch einmal scharf nachdenken müsste …).

Cover des Buches von Augusto Paim.
© Ch. A. Bachmann Verlag

Ich habe mir drei Bücher herausgegriffen, die Du gerne erläutern kannst. Fangen wir an mit Die Comicreportage von Augusto Paim. Der ursprüngliche Text ist eine Dissertation an der Bauhaus-Uni in Weimar. Nach meiner Wahrnehmung bist Du die erste Adresse für die Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten zum Comic. Wo ordnest Du Deinen Verlag ein? Und: Verrate uns etwas über das Buch.

Als ich den Verlag gegründet habe, war die Comicforschung im deutschsprachigen Raum verstreut. In den 1980er Jahren hat sich Rowohlt eine Zeit lang als (Populär-) wissenschaftliche Anlaufstelle gezeigt. Doch davor, danach und auch währenddessen erschienen die Arbeiten in verschiedenen Reihen bei unterschiedlichen Verlagen. In den späten 2000er und 2010er Jahren konnte ich dann, glaube ich, durch die Konzentration vieler Publikationen in einem einschlägigen Verlag die Aufmerksamkeit für deutschsprachige Comicforschung vergrößern helfen. Inzwischen haben auch große Verlage entsprechende Publikationsreihen eingerichtet und können mittels ihrer ungleich größeren Marktmacht und Reichweite in der wissenschaftlichen Aufmerksamkeitsökonomie punkten. Wer vor diesem Hintergrund zu mir kommt, weiß meist schon, wer ich bin und wofür ich stehe. Gar nicht selten sind es ‚Wiederholungstäter‘, die nach dem ersten noch einmal ein Buch mit mir machen wollen.

Ein Auszug aus Die Comicreportage.
© Ch. A. Bachmann Verlag

Augusto Paim war schon ein Freund lange bevor er seine Dissertation abgeschlossen hatte. Bis vor wenigen Jahren war er in der deutschen Comicszene, besonders in Berlin, sehr umtriebig. Obwohl er inzwischen wieder in Brasilien lebt, ist er es bis heute. Er ist einer, der alle kennt und den alle kennen. Comics als Form für journalistisches Arbeiten zu nutzen und zu fördern, ist ihm eine absolute Herzensangelegenheit. In seiner Dissertation entfaltet er die Chancen, die Comics dem visuellen Journalismus bieten und diskutiert eine Vielzahl Reportagen bekannter Comiczeichner*innen. Schon mit der Coverillustration von Alexandra Rügler haben wir versucht, seine zentralen Argumente zum Ausdruck zu bringen, etwa die sehr hilfreiche (Un-)Mittelbarkeit des Zeichnens und die Wichtigkeit der Arbeit vor Ort. Ich komme weiter unten noch einmal auf Augusto zurück.

Das Cover des Ausstellungskatalogs.
© Ch. A. Bachmann Verlag
Das nächste Buch ist ein Ausstellungskatalog: Vater und Sohn in Amerika. Wie wichtig sind solche Kataloge für Dein Programm? 

Kataloge sind in eine ganz besondere Herausforderung, weil Ausstellungen besondere Herausforderungen sind. Während eine Ausstellung ein Thema oder einen ganzen Themenkomplex anhand ausgewählter Objekte der materiellen Kultur mit wenig Text vor Augen zu führen versucht, muss ein Katalog zwar mit viel mehr Text, aber ohne die Exponate Hintergründe erklären, Zusammenhänge herstellen oder Geschichten erzählen. Im vergangenen Jahr durfte ich mir anhand einer Ausstellung zu Videospielen und Spielbilderbüchern in der Staatsbibliothek die Grundlagen des Kuratierens aneignen. Voraussichtlich im Herbst öffnet eine zweite Ausstellung und wegen zwei weiterer bin ich im Gespräch mit verschiedenen Museen (alle wieder zu Games). Das hat meinen Blick für die Bedeutung von Ausstellungen und Katalogen nachgeschärft.

Ein Auszug aus dem Katalog.
© Ch. A. Bachmann Verlag

An Vater und Sohn in Amerika freut mich besonders die vergleichende Perspektive. Als Komparatist (vergleichender Literaturwissenschaftler) sehe ich eine meiner Aufgaben darin, aus einer transnationalen Perspektive Medienprodukte wie Comics, Kinderbücher und Videospiele nebeneinander zu stellen und durch ihren Vergleich etwas über die Medien selbst zu lernen sowie über die Kulturen, aus denen sie stammen. Die Ausstellung in der e.o. plauen Galerie in Plauen leistete genau das: Sie vergleicht e.o. plauens Bildergeschichten und humoristische Bilder mit den Comics von Frank O. King und deckt auf diese Weise verblüffende Gemeinsamkeiten auf, denen im Katalog detailliert nachgespürt werden kann.

Cover des Buches von Dietrich Grünewald.
© Ch. A. Bachmann Verlag
Und schließlich eine aktuelle Veröffentlichung: Grenzverkehr von Dietrich Grünewald. Worum geht es da?

Dietrich Grünewald ist ein Autor der ersten Stunde: Einerseits ist er unzweifelhaft einer der Gründerväter der deutschen Comicforschung, zu der er seit Jahrzehnten beiträgt. Andererseits hat er mir vor vielen Jahren die ersten Tagungsbände der Gesellschaft für Comicforschung anvertraut und war damit für die Etablierung des Verlags von unschätzbarer Bedeutung. Nach mehreren Tagungsbänden, einem Buch über abstrakte Comics, einem über Loriot und einer kommentierten Übersetzung von Schillers Avanturen des neuen Telemach behandelt Dietrich Grünewald in Grenzverkehr die spannende Frage danach, in welcher Beziehung Comic und Bildende Kunst stehen, also etwa wenn Comics bekannte Kunstwerke zitieren – oder umgekehrt. Dietrich Grünewalds Materialkenntnis ist unvergleichlich und ich kann hier nicht einmal beginnen, alle Künstlerinnen und Künstler, Comiczeichnerinnen und Comiczeichner aufzuzählen, die er in Grenzverkehr behandelt.

Sind das Bücher, die Dich selbst begeistern? Oder spielt das als Verleger keine so große Rolle?

Begeisterung ist ein Kriterium, das ich oben nicht genannt hatte. Im Januar bin ich seit 17 Jahren verlegerisch tätig, bald zwei Jahrzehnte. Aus dem oben erwähnten jungen Studenten, der ich 2008 war, ist unversehens ein Mann mittleren Alters mit Kindern und grauen Haaren im Bart geworden. Das ist eine lange und bewegte Zeit, die ohne eine gewisse Begeisterung meinerseits nicht möglich gewesen wäre.

Mein Anteil an der Entstehung der Bücher variiert stark. Bei Katalogen wie Vater und Sohn in Amerika oder opulenten Einzeltiteln wie dem Grenzverkehr ist nicht zuletzt die Buchgestaltung sehr wichtig, während andere Bände ein standardisiertes Design erhalten (das dann aber bespielt werden will). Schöne Bücher zu machen, liegt mir am Herzen. In einer Zeit, in der tippen immer mehr durch prompten ersetzt wird und Bücher, vor allem wissenschaftliche, zunehmend in digitaler Form erscheinen, müssen Bücher aus Papier, für die immerhin Bäume gefällt, von dieselhungrigen Lastwagen transportiert und unter Einsatz von wertvollem Wasser zu Papier verarbeitet werden, mehr als nur durch ihre Inhalte rechtfertigen, dass es sie gibt.

Ich habe mir früh vorgenommen, nur Bücher zu begleiten, die ich auch verlegen möchte, statt alles anzunehmen, was reinkommt. Bisher klappt das sehr gut.

Noch ein Auszug aus Grenzverkehr. © Ch. A. Bachmann Verlag
Ich vermute mal, Du bist auch Comic-Fan. Welche Comics magst Du besonders?

Fan – im Sinne einer fanatischen Begeisterung – ist vielleicht ein etwas starkes Wort, denn als Wissenschaftler versuche ich eine respektvolle Distanz zu meinen Gegenständen aufrecht zu erhalten, um einen klaren Blick zu behalten. Da ich in den letzten Jahren überwiegend über ältere Comics und Bildergeschichten gearbeitet habe, hat schon der historische Abstand dabei natürlich geholfen. Tatsächlich lese ich aber sehr gerne Comics und augenblicklich befasse ich mich mit der deutschen Comicproduktion der 1980er Jahre, ein Thema, das ich bisher kaum beachtet hatte.

Das Jahrzehnt ist aber sehr spannend, denn die von den amerikanischen und französischen Comics angespornten deutschen Zeichner (in dieser Zeit noch kaum Frauen) – F.K. Waechter, Brösel, Walter MoersRalf König und viele andere – und ihre Outlets wie U-Comix, Kowalski, Kromix und Titanic (aber auch die Publikationen des Kinderbuchimprints Beltz & Gelberg) bilden mit all ihren großnasigen in Ferkeleien und Unverschämtheiten verstrickten Figuren ein sehr spannendes künstlerisch-mediales Netzwerk. Dabei erkunde ich gleichzeitig mein Geburtsjahrzent, mit dem ich mich bislang kaum auseinandergesetzt habe. Grundsätzlich interessiert mich Experimentelles mehr als Gleichförmiges, Abwege eher als Iterationen geläufiger Genres. Außerdem habe ich ein Faible für mediale Grenzüberschreitungen: 3D-Comics, Comic-Videospiele, Comic-Pop-up-Bücher, Comic-Brettspiele …

Auf welche Veröffentlichungen in Deinem Haus können wir uns demnächst freuen?

In wenigen Wochen erscheint Das kleine Handbuch der Comicreportage von Augusto Paim. Diesen praktischen Leitfaden hatten wir aus seiner oben angesprochenen Dissertation ausgekoppelt, weil er uns als eigenständiges Büchlein sinnvoller erschien. Augusto Paim hat sich noch einmal ganz neu an den Text gesetzt und das Buch um beispielhafte Comicreportagen ergänzt, die er mit Ana Luiza Koehler, Malin von Soest und Alexandra Rügler erarbeitet hat. Nachdem das Buch bereits auf Brasilianisch erschienen ist, kommt es nun auch auf Deutsch heraus, worauf ich mich persönlich schon sehr freue.

Außerdem erscheinen bald neue Tagungsbände der Gesellschaft für Comicforschung. Im neuen Jahr kommen darüber hinaus die ersten Bände einer neuen Reihe zur romanistischen Comicforschung. An Einzeltiteln sind unter anderem Bücher über Micky Maus und Walter Benjamins Kinderbuchsammlung in der Pipeline.

Vielen Dank und viel Erfolg weiterhin!

Hier geht es zum Verlag: Ch. A. Bachmann

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