Ausstellung: Ich werde nicht schweigen

Im Kunsthaus Wiesbaden wird anläßlich des 80. Jahrestages des Kriegsendes eine bemerkenswerte Ausstellung gezeigt. Jakob Hoffmann, langjähriger Freund der Comic-Denkblase, hat die Schau kuratiert. Und er bringt vier der derzeit spannendsten Zeichner*innen in die Landeshauptstadt. Ausgestellt werden Werke von Hannah Brinkmann, Tobias Dahmen, Nora Krug und Birgit Weyhe. Natürlich hat sich Jakob für uns Zeit genommen, um uns Hintergründe zu erzählen – zur Ausstellung: Ich werde nicht schweigen.
Zeit heilt keine Wunden…
© Foto: Patrick Bäuml
(Alex Jakubowski) Lieber Jakob, Du hast schon wieder eine Ausstellung kuratiert, dieses Mal in Wiesbaden, aber es sind durchaus alte Bekannte dabei. Worauf können sich Comic-Fans freuen? Was erwartet sie dort?

(Jakob Hoffmann) Comic-Fans können sich natürlich vor allem auf die Arbeiten von vier faszinierenden Zeichner*innen freuen. Die Comics verbindet, dass sie alle historische Katastrophen aus der Sicht von Betroffenen zeigen. Das ist keine leichte Kost, aber es lohnt sich. Und man kann nicht umhin, auch von den künstlerischen Leistungen beeindruckt zu sein. Aber allen vieren ist es wichtig, mit den Geschichten die Aufmerksamkeit auf Ereignisse zu richten, die nicht vergessen werden sollen und dürfen.

Birgit Weyhe erzählt in Schweigen die Geschichte von zwei jungen deutschen Frauen, die während der argentinischen Militärdiktatur 1977 entführt, gefoltert und ermordet wurden. Die politisch Verantwortlichen taten nichts, um das zu verhindern – auch, um die Fussball-WM 1978 in Argentinien nicht zu stören.

Die Kontinuität in der Justiz im Nationalsozialismus und der BRD sind Thema des Berichtes Die Zeit heilt keine Wunden von Hannah Brinkmann. Darin geht es um das Leben von Ernst Grube, der auch zur Eröffnung der Ausstellung vergangene Woche da war.

Heimat von Nora Krug bekam international viel Anerkennung und schildert die Recherche der Autorin zu den Verwicklungen der eigenen Familie im Nationalsozialismus.

Tobias Dahmen, Hannah Brinkmann, Birgit Weyhe und Nora Krug (von links).
© Foto: Jakob Hoffmann
Tobi Dahmen zeigt eine Arbeit, die noch gar nicht veröffentlicht ist, oder?

Ja, genau. Der Comic Al Fazia – Der Horror ist weitgehend fertig. Er erscheint als Buch aber erst 2026 bei Carlsen. Es geht um den Syrer Akram Al Saud, der rund um den arabischen Frühling schreckliche Dinge in seinem Land erlebt und unter unvorstellbaren Bedingungen in verschiedenen Gefängnissen war. 2016 ist er nach Holland geflohen. Gerade als Tobi und er mit der Geschichte fertig waren – das wird in der Ausstellung auch gezeigt – kam die Nachricht vom Sturz Assads. Klarer kann Aktualität von Geschichte nicht belegt werden.

Bisher noch unveröffentlicht … © Tobi Dahmen
Mit Tobi hast Du ja auch schon beim Buch Stell Dir vor zusammengearbeitet. Ist Geschichte im Comic auch Dein Steckenpferd?

Das würde ich nicht sagen. Mich interessieren gute Zeichner:innen, die ich persönlich künstlerisch überzeugend finde. Und die haben oft gute Themen. Die Ausstellung zum Comic Aber ich lebe – Farbe der Erinnerung, die ich mit Barbara Yelin kuratiert habe, hatte eine starke Resonanz. Sie wird gerade in der Gedenkstätte Bergen Belsen gezeigt, das ist bereits die sechste Station.

Wenn etwas gut läuft, wird man vielleicht eher darauf angesprochen, etwas zu machen, was sich in einem ähnlichen Themenfeld bewegt. Zumindest wurde ich deswegen vom Kunsthaus Wiesbaden gebeten, eine Ausstellung zu machen, die sich mit dem Zusammenhang von Erinnerung, Demokratie und Comics beschäftigt. Mit Tobi habe ich schon zwei Bücher gemacht und wir arbeiten gerne zusammen.

© Foto: Patrick Bäuml
Welche Kriterien haben Dich bei der Auswahl der anderen Künstler*innen geleitet?

Mit Nora Krug wollte ich schon länger etwas machen. Ich halte sie für eine überragende Künstlerin, mit einem sehr eigenwilligen und unverkennbaren ästhetischen Programm. Sie sieht sich als grafische Journalistin. Insgesamt war es mir wichtig, zu zeigen, wie unterschiedlich – aber immer unbedingt intelligent – man sich historischen Themen nähern kann. Natürlich spielt auch eine Rolle, an was die Künstler*innen gerade arbeiten und ob sie Zeit haben.

Das wusste ich auch, weil drei von vieren gerade in einem internationalen Projekt arbeiten – Survivor Centered Visual Narratives – bei dem insgesamt zehn Comics internationaler Zeichner*innen entstehen, in Kooperation mit Wissenschaftler*innen. Auch Aber ich lebe ist von dort aus entstanden. Der gemeinsame Austausch über die Arbeiten ist dort Bestandteil des Projektes. So haben sich alle vier Künstler*innen am Tag vor der Eröffnung für einen eintägigen Workshop getroffen und sich intensiv über ihre Arbeit ausgetauscht (unterstützt von der Yale University) – das war ein faszinierendes Erlebnis für mich.

© Foto: Patrick Bäuml
Welche Wirkung erhoffst Du Dir von den Comics, aber auch von der Ausstellung?

Wir haben gemerkt, dass die Thematik der Ausstellung einen Nerv trifft. Das sieht man zum Beispiel am Begleitprogramm. Zugesagt hat zum Beispiel Wolfgang Kaleck, ein international bekannter Anwalt für Menschenrechte, der unter anderem Edward Snowden vertritt.

Ansonsten hoffe ich auf folgende Reaktion: Comic? Kein Problem, keine Berührungsängste. Ich bezweifle, ob das vor zehn Jahren so leicht gewesen wäre. Auch, dass wir Aleida Assmann als Schirmherrin gewinnen konnten, ist dafür ein Beleg. Die Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels kommt übrigens aus Konstanz, der nächsten Station der Ausstellung im November. Auch eine dritte Station ist geplant.

Das heißt, auf Seite der Veranstaltenden und der Institutionen ist ein gutes Interesse vorhanden. Die Hoffnung ist, Comic als Medium der politischen und geschichtlichen Erinnerung sichtbar zu machen. Dass das dann auch ein Publikum findet, gerade auch ein jüngeres – das ist meine große Hoffnung.

Der Flyer zur Ausstellung © Birgit Weyhe/Kunsthaus Wiesbaden
Weitere Infos zur Ausstellung findet Ihr hier: Kunsthaus Wiesbaden

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