Unnützes Wissen für Marvel Nerds

Worum geht es eigentlich in Spider-Island? Wie sehen die von Todd McFarlane gezeichneten Spinnenfäden aus? Oder: Wann lebte einer der ersten Mutanten? Mit solchen Fragen haben sich Stefan Mesch und Lino Wirag beschäftigt. Unnützes Wissen für Marvel Nerds heißt ihr Buch, das „spannende Fun Facts zu den legendären Comics, Filmen und deinen Lieblingsfiguren“ liefert, wie es im Untertitel heißt. Noch mehr unnützes Wissen zu Unnützes Wissen für Marvel Nerds liefert Stefan im Comic-Denkblasen-Interview.

Passt in jedes Bücherregal. ©Foto: Alex Jakubowski
(Alex Jakubowski) Lieber Stefan, woher kommt Deine Liebe zu den Marvel-Figuren?
(Stefan Mesch) „90 Prozent von allem sind Mist“, hat der Science-Fiction-Autor Theodore Sturgeon mal gesagt – und bei Marvel sind es bestimmt eher 95 Prozent. Ich bin Kritiker – vor allem für Bücher und TV-Serien – und finde immer am besten, wenn ich aus einem großen Fundus und Archiv heraus das Besondere finden und empfehlen kann. Ab 2013 habe ich alle Marvel-Comics gelesen, in denen Frauen die Hauptrolle spielen. Erst 2019, mit Captain Marvel, ist der erste Marvel-Film nach einer Heldin benannt. Ich fand toll, kantige, politische, schrullige Comics zu lesen – und zu wissen: Vielleicht ist das in fünf oder zehn Jahren ein großer Kinofilm.
 
Mein Co-Autor Lino Wirag und ich sind jetzt 40: Wir sind 1983 geboren, und vor dem X-Men-Kinofilm 2000 gab es nichts von Marvel, das mir groß wichtig war. Comics waren damals super-teuer. Für die Hulk-TV-Serie der 70er Jahre war ich zu klein, die X-Men-Trickserie (RTL, ab 1993) habe ich verpasst – wir hatten samstags noch Schule, alle zwei Wochen. Ich bin DC-Fan: Superman und Batman waren für mich viel präsenter. Clark Kent und Lois Lane sind meine Lieblingsfiguren.
 
Aber ich dachte bei Batman neulich: „Wie weit wird dieser Mann gehen?“ – das könnte man als eine treibende Frage zu fast jeder Batman-Geschichte stellen. Darum macht mir die Figur Spaß. Sympathisch ist mir Bruce Wayne nicht. Doch ich glaube, sobald man als Fan so eine Kern-Frage greifen kann, liest man gern immer neu und immer weiter.
 
Bei vielen Marvel-Figuren höre ich zwar immer wieder: „Sie sind so kultig, faszinierend und beliebt“ – doch ich selbst habe eben noch keine solche Frage, die mich zum Lesen und Sammeln antreibt. Emma Frost aus den X-Men? „Meine Leute brauchen Macht. Aber: Wer exakt sind ‚meine Leute‘?“ Gute Frage! Ich bin dabei. Aber… Invisible Woman aus den Fantastic Four? Ich weiß noch nicht: Ich sehe sie ständig auf Männer und große Egos reagieren. Aber gepackt hat sie mich noch nicht. Vielleicht kann man an ihr sehen, wie wir alle mit den Egos von Elon Musk oder Viktor Orbán umgehen müssen?
Die Autoren und ihr Werk, Lino Wirag links und Stefan Mesch rechts. ©Riva-Verlag 2023
Ihr habt keinen fortlaufenden Text geschrieben, sondern eher Stichpunkte. Wie seid Ihr vorgegangen? Wie habt Ihr Euch und Euer „unnützes Wissen“ sortiert?
Das Buch hat fast 200 Seiten. Ein Fakt im Buch umfasst ein bis vier (oft lange) Sätze – auf jeder Buchseite stehen drei bis fünf Fakten. Wir haben sechs Monate gesammelt und geschrieben: erst eine Fakten-Liste als Excel-Datei. Dann unsere Grundstruktur – Fakten aus den 40er Jahren, 50er Jahren usw., Fakten zu sehr bekannten Figuren und Filmen für die erste Buch-Hälfte. Dann Kritik, Skandale und Diversity als Schwerpunkt auf den letzten 100 Seiten. 
 
Lino und ich hatten doppelt so viel Material. Das Buch ist wirklich ein recht streng gekürztes, konzentriertes Best-of (tolle Figuren, große Momente) und Worst-of (ein oft schrecklicher Verlag geht oft schrecklich mit Figuren und mit Kreativen um). Ein Fakt gehört ins Buch, wenn man durch ihn besser versteht, warum die Comics und Filme aussehen, wie sie aussehen. Und, wenn man danach eine Figur mehr mag, interessanter findet oder denkt „Oha – spannend.“
Noch mehr Nachschlagewerke… ©Foto: Alex Jakubowski
Wie viele Marvel-Comics habt Ihr dafür gelesen? Wie viele Comics umfasst Deine Sammlung?
2023 habe ich etwa 900 Hefte gelesen – vor allem alle X-Men-Comics ab 2019: die großartige Krakoa-Ära über den Versuch der Mutant*innen, den Insel-Staat Krakoa zu gründen und damit Weltmacht, aber auch „Safer Space“ zu werden.
 
In allen Jahren davor habe ich etwa 2000 Marvel-Hefte gelesen. Und von DC bestimmt doppelt so viele – darum war beim Schreiben auch immer leicht, bei Marvel-Trends oder -Skandalen an einen ähnlichen Moment zu denken, der zur selben Zeit bei DC Comics wichtig war.
Ob Spider-Man oder Wolverine… Hauptsache Marvel. ©Foto: Alex Jakubowski
An wen richtet sich das Buch?
An alle ab zwölf, die ein paar Figuren und Filme kennen und die jetzt Lust haben auf Tipps, auf Kontext, Aufreger und sehr viel absurden Unsinn. Aber besonders – und ich hoffe so sehr, mehr Leute fühlen sich angesprochen und schenken uns ihre Lese-Zeit – an alle, denen bei Marvel Vielfalt und Diversity fehlen. Und die wissen wollen: Wo sind die Figuren of Color? Wie hat der Verlag Queerness immer wieder verhindert oder ignoriert? Was erzählt Marvel über Behinderung und andere Marginalisierungen? Wer kämpft dort gegen Sexismus, und wie reagieren rechte Stimmen?
 
Marvel ist of so gestrig und reaktionär – und wer sich ekelt über diesen Verlag und die Filme, kann im Buch sehen, dass das kein vages Bauchgefühl ist, sondern acht Jahrzehnte voller Ausgrenzungen, Populismus und scheußlicher verlegerischer Entscheidungen, Frauenhass, Gedankenlosigkeit, Häme, Ignoranz. 
Großartig, dass sich Marvel-Fans vom Buch nicht angegriffen fühlen – bisher sagte nur ein einzelner Rezensent auf Amazon, er will keine Bücher erfolgreich machen, in denen der Gender-Stern benutzt wird. Aber Lino und ich sind Kulturwissenschaftler, und beim Schreiben war aufregend, aber auch belastend, zu wissen: Die meisten Fakten könnten auch in einem Buch stehen mit dem Titel „Unnützes Wissen für Leute, die Konzerne wie Disney hassen“.
Stichpunktartig kommt das Unnütze Wissen daher. ©Riva-Verlag 2023
Wie sehr muss man dennoch Experte sein, um das „Unnütze Wissen“ zu verstehen?
Marvel hat so viele Figuren – uns war wichtig, viele wenigstens kurz zu erwähnen. Aber: Wir hatten keine Zeit, über jede Figur zu sagen „Colossus? Er hat folgende Kräfte, folgende Vorgeschichte, und folgendes ist super-interessant an ihm.“ Leute lesen das Buch oft sehr langsam, weil sie ständig nebenher googeln, Bilder suchen, Filmszenen selbst schauen wollen. Alle Sätze im Buch sind kurz, leicht verständlich und jeder Fakt hat eine klare Pointe oder einen Aha-Moment. 
 
Aber klar macht ein Fakt über Deadpool und den Film „Die Braut des Prinzen“ mehr Spaß, wenn dir Deadpool und/oder dieser Film grob ein Begriff ist. Für Lino und mich ist toll, dass alle, die im Buch lesen, sagen: „Mir war so vieles komplett neu. Auch, was ihr über Politik, Popkultur und Machtkritik erwähnt: Man kann hier was lernen, und ich finde es nicht ‚unnütz‘.“
Wieviele Comics haben die Autoren gelesen? ©Foto: Alex Jakubowski
Was kommt als nächstes? Ein Buch über die DC-Welt?
Ich glaube, sechs Monate lang ein Thema und eine Figuren-Welt recherchieren – auch: die Schattenseiten, die politischen Fragen, das kulturelle Drumherum – und es dann auf 200 Seiten bündeln? Das ist für Lino und mich ein tolles Format, wir wollen unbedingt mehr.
 
Ideal fände ich „Unnützes Wissen für Spider-Nerds“, dann „Avengers-Nerds“, dann „X-Men-Nerds“. Aber auch auf „Die dunkle Seite von Star Wars“ hätten wir Lust, oder auf ein Buch über Schurk*innen bei Disney. Die beiden Verlage in Deutschland, die solche Bücher oft machen, sind riva und der Konkurrenzverlag Nucleo. Wobei Nucleo-Bücher oft fünf Euro teurer sind – und ich liebe, dass man bei zehn Euro für „Unnützes Wissen für Marvel-Nerds“ vielleicht schnell sagt: „Ach, das kaufe ich mir oder ich verschenke es.“
 
Ich hoffe, auch Verlage wie S. Fischer oder Rowohlt schauen mal ins Marvel-Buch und merken: „Oh – hier sind zwei Viel-Leser, die tief recherchieren und in griffiger Sprache sichtbar machen, was sie stört. Die zwei könnten für uns mal schauen, was… mies an Netflix-Serien ist. Oder toll an Animes der 90er Jahre.“ Also: „Wer stellt Figuren und Figuren-Gruppen zusammen, welche Geschichten werden damit erzählt und wie wird dabei Vielfalt oft verhindert?“ ist erstmal unser Ding, als Sachbuch-Duo. 
 
Aber: Ein Verlag muss uns wollen, und ohne riva, die deutlich sagten „Wir haben Lust! Ihr könnt das!“ und die Dutzende Lese-Exemplare für uns verschicken und inhaltlich Vertrauen in uns haben, Schwerpunkte, Tonfall und Struktur selbst zu entscheiden… Hätten wir das nie einfach so geschrieben, ins Blaue. Ein nächstes Buch kommt, falls das erste rezensiert, empfohlen, geteilt wird – von Blogs, von Comic-Shops, vom Buchhandel. Darum: Vielen Dank, dass du mir diese Fragen stellst.
Ein Blick ins Buch. ©Foto: Alex Jakubowski
Angaben zum Buch: Unnützes Wissen für Marvel Nerds. Spannende Fun Facts zu den legendären Comics, Filmen und deinen Lieblingsfiguren. Autoren: Stefan Mesch und Lino Wirag. SC, 192 Seiten. Riva-Verlag. 10,-€

Und hier gehts zum Verlag: Riva

Mehr zu Marvel gibt es u.a. hier auf der Comic-Denkblase: Der Silver Sufer bei TASCHEN

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert