Kibitz – Kindercomics braucht das Land

Schwierige Zeiten für eine Verlagsgründung. Noch dazu für einen Verlag, der ausschließlich Kindercomics im Programm führt. Michael Groenewald und Sebastian Oehler wagen es trotzdem. Mit fünf Neuerscheinungen geht der kleine Verlag mit Sitz in Berlin an den Start. Darunter Comics von Anke Kuhl https://comic-denkblase.de/manno-auf-einen-kaffee-mit-anke-kuhl oder Patrick Wirbeleit und Sascha Wüstefeld. Ich habe mit einem der beiden Gründer, Michael Groenewald, über das Projekt gesprochen.

(AJ) Lieber Michael, gemeinsam mit Sebastian Oehler gehst Du mit einem neuen Verlag für Kinder-Comics an den Start. Ihr beide habt über 20 Jahre Erfahrung im Comicmachen und auch viel Kenntnis in Sachen Kindercomics. Warum braucht es jetzt einen eigenen Verlag für Kinder?

(MG) Wir haben regelmäßig die Erfahrung gemacht, dass gerade Kinder im frühen Lesealter großen Spaß an Comics haben. Von einem gut gemachten Comic lassen sie sich schnell in die Geschichte hineinziehen, und die Erzählform mit ihrer Kombination aus Bildern und Wörtern ermutigt sie, ganze Bücher zu lesen. Und das mit Vergnügen. Diese Vorzüge werden längst auch durch die Expert*innen aus der Leseförderung und Medienpädagogik betont.

Wir glauben an das Potenzial, das im Kindercomic liegt. Abseits der zeitlosen Comic-Klassiker gibt es ein feines Kinderprogramm bei Reprodukt und auch die Kinderbuchverlage legen heute immer wieder einzelne schöne Comics vor. Dennoch denken wir, dass da noch Raum für Comics ist, die speziell auf die Lesebedürfnisse von Kindern hin erzählt werden. Und Raum für gute Geschichten, die die Lebenswelt heutiger Kinder spiegeln.

Kinder lieben Comics

Das langfristige Ziel ist es, Comics zu einem selbstverständlichen Teil des literarischen Angebots für junge Leser*innen zu machen. Eine Erweiterung dieses Angebots – in der Lesesozialisation jedoch zudem ein freudvolles, ermutigendes Bindeglied zwischen Bilderbüchern, die vorgelesen werden und der eigenständigen Lektüre komplexerer Bücher.

Hier stehen wir noch am Anfang. Aber die Zeichen empfinden wir als ermutigend. Kinder lieben Comics, nun gilt es, die Erwachsenen, die die Bücher kaufen und verkaufen, davon zu überzeugen, dass Comics inhaltlich auch neben „dem guten Kinderbuch“ eine gute Figur machen. Und dass dem Bild als Erzählmittel wesentlich mehr Wertschätzung gebührt. Ein Comic mag schneller gelesen sein als ein erzählendes Kinderbuch – dafür lesen Kinder Comics oft wieder und wieder, da in den Zeichnungen eine Fülle an Emotionen und Stimmungen liegt, die es zu entdecken gilt.

Wir möchten diesen Weg mit unseren bescheidenen Mitteln und unseren großartigen Autor*innen mit beschreiten. Und freuen uns schon jetzt auf das schönste Publikum, das ein Comicverlag haben kann: Kinder.

Szene aus „Geniale Geschenke“ von Anke Kuhl. ©Kuhl – Kibitz

(AJ) Ihr veröffentlicht deutschsprachige Autoren: Worauf können sich Kinder hier freuen?

(MG) Auf ganz unterschiedliche Bücher, die doch einige Dinge gemein haben: gute Geschichten, lebendige, eigenwillige Figuren und tolle Zeichnungen. Manche Erzählungen spielen direkt vor der Haustür, andere tragen die Leser*innen ins Reich der Fantasie. Ob die Geschichten über das Leben erzählen oder tolle Unterhaltung sind: Das oberste Ziel ist stets der Spaß beim Lesen.

Dafür sorgen fabelhafte Comiczeichner*innen, tolle Kinderbuchmacher*innen, ausgezeichnete Talente und Jugendliteraturpreisträger*innen, Oscar-nominierte Animationsfilmer und Max und Moritz-Preisträger. Menschen also, die wissen, wie man gute Geschichten für Kinder erzählt.

Detektive, Humor und Alltagsgeschichten

Im ersten Programm berichtet Tanja Esch von einer Gruppe liebenswerter Juniordetektiv*innen, deren erster Fall immer skurrilere Wendungen nimmt (Ulf und das Rätsel um die Neue)Patrick Wirbeleit und Sascha Wüstefeld erzählen in Haus Nr. 8 ein fantastisches Abenteuer über ein verwinkeltes Haus voller Rätsel, eine Hexe, die nicht mehr zaubern möchte und einen Jungen, der nichts lieber könnte als das. Martin Baltscheit und Anne Becker haben mit Selma tauscht Sachen eine turbulente Hundegeschichte geschaffen, die davon erzählt, wie wichtig Offenheit und Einfühlungsvermögen sind, um Ängste zu überwinden. Dann ist da endlich ein neues Abenteuer von Patrick Wirbeleits und Uwe Heidschötters Erfolgsserie Kiste, die bei Kibitz eine neue verlegerische Heimat gefunden hat. Mathemagie verbindet das Thema Schule mit dem typischen Kiste-Humor. Schließlich lädt uns Anke Kuhl in ihrem Geschenkbuch-Comic Geniale Geschenke auf eine großartig verquere Geburtstagsfeier ein.

Ein fantastisches Abenteuer über ein Haus voller Rätsel.
©Wirbeleit/Wüstefeld – Kibitz, erscheint im Juni 2020

(AJ) Warum gibt es bei Euch keine fremdsprachigen Comics?

(MG) Es gibt hierzulande eine Menge toller Autor*innen und Zeichner*innen, sowohl junge Talente wie etablierte Profis, die Lust auf Comics haben. Die Veröffentlichungsmöglichkeiten sind aber nach wie vor überschaubar. Und nicht selten müssen Geschichten in Reihenkonzepte passen oder inhaltlichen und formalen Vorgaben genügen. Hier hoffen wir, uns zu einer interessanten Alternative mit größeren Freiheiten entwickeln zu können.

Zudem verstehen wir uns als Ergänzung des Buchangebots. Uns ist nicht daran gelegen, auf dem überschaubaren internationalen Markt in Konkurrenz zu den wachen Kolleg*innen bei Reprodukt oder Klett Kinderbuch zu treten.

Ergänzung – nicht Konkurrenz

Da wir durch unsere Erfahrungen als Veranstaltungsmacher auch darum wissen, dass kaum etwas Kinder und auch Eltern so gut mit Kindercomics in Kontakt bringt wie Lesungen und Workshops, sehen wir auch in diesem Punkt Vorteile der Arbeit mit heimischen Autor*innen. Viele von ihnen sind versiert im Vortrag, können unmittelbar mit ihrem Publikum kommunizieren und die Wege sind kürzer.

Zu guter Letzt: Kibitz ist ein Herzensprojekt, das uns Freude machen soll. Und es gibt beim Büchermachen kaum etwas Tolleres, als ein Buch in der Entstehung zu begleiten. Es ist allerdings unsere erste Verlagsgründung. Es wird sich zeigen müssen, ob das Konzept trägt.

Szene aus „Ulf und das Rätsel um die Neue“ von Tanja Esch, ©Esch – Kibitz

(AJ) Manche Kindercomics ähneln manchmal eher mit mehr Text versehenen Kinderbüchern, denn Comics. Wo zieht Ihr für Euch die Grenze? Anders gefragt: ab wann ist ein Kinderbuch ein Comic?

(MG) Unsere Bücher sind Comics im klassischen Sinn: Sequenzielle Bilder und Dialoge in Sprechblasen. Uns ist es auch bei Comics für Kinder wichtig, dass dem Bild beim Erzählen derselbe Stellenwert zukommt wie dem Text und beides sich ergänzt. Im engen Zusammenspiel der beiden Informationsebenen liegt der Reiz der Erzählform – auch und gerade für Kinder im frühen Lesealter.

Bild und Text in Kombination

Eine treffende Zeichnung ersetzt sowohl auf der Handlungsebene wie auch bei der Charakterisierung der Figuren und der Schilderung von Gefühlen und Stimmungen tatsächlich die sprichwörtlichen vielen Worte. Und es ist gerade die stete Abfolge von Bildern, die Comics für junge Leser*innen so faszinierend macht. Kinder sind bestens in der Lage, selbst subtile Veränderungen und Hinweise in den Bildern zu interpretieren. Daher müssen Kindercomics nicht plakativ oder überzeichnet sein.

Durch die erzählenden Bilder werden Kinder, denen das Lesen nicht so leicht von der Hand geht, nicht über-, Kinder, die einen besseren Zugang zum Lesen haben, aber auch nicht unterfordert. Allein durch die Verwendung erzählerischer Elemente wie Sprechblasen oder kleiner Bildfolgen werden Bilder- und Kinderbücher nicht zu Comics. Allerdings finden wir den Gedanken reizvoll, verschiedene Formen des Erzählens in Wort und Bild miteinander zu verbinden: Comic, illustrierten Text, spielerische Elemente – so dies durch die Geschichte motiviert ist. Da möchten wir künftig gern Dinge ausprobieren. Ganz gleich, wie man es nachher nennt.

„Selma tauscht Sachen“ von Martin Baltscheit und Anne Becker,
©Baltscheit/Becker – Kibitz

(AJ) Wie viele Veröffentlichungen im Jahr habt Ihr Euch vorgenommen?

(MG) Wir starten im Juni mit fünf Titeln, planen in der Folge jedoch mit drei Büchern pro Halbjahr. Zum einen sind Eigenproduktionen in der Regel ungleich aufwändiger im Arbeitsprozess, zum anderen möchten wir unsere Bücher – so die Gegebenheiten das hoffentlich bald wieder erlauben – mit Veranstaltungen und Aktionen zum Publikum tragen. Dabei verfolgen wir eine Mischung aus Buchreihen wie Kiste, Selma tauscht Sachen oder Haus Nr. 8 und Einzeltiteln wie Ulf und das Rätsel um die Neue.

Sind Comics Kinderkram?

(AJ) Viele verbinden mit Kindercomics hierzulande immer noch vor allem Micky Maus oder die Lustigen Taschenbücher. Oft werden sie auch belächelt. Wie schätzt ihr das Image von Kindercomics in Deutschland ein?

(MG) Das Argument, Comics seien Kinderkram ist so leicht nicht totzukriegen. Tatsächlich ist es alles andere als einfach, Comics für Kinder im Buchhandel und in der Öffentlichkeit präsent zu machen. Das erinnert durchaus an den jahrzehntelangen Weg, Comics für ein erwachsenes Publikum zu etablieren. Die Vorbehalte gegenüber Comics wurden ja schon thematisiert: Geschichten mit Bildern und wenigen Wörtern sind per se mit Skepsis zu betrachten und dem erzählenden Kinderbuch zudem im Kosten-Nutzen-Verhältnis vermeintlich unterlegen. Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

Wertschätzung ist wichtig

Wir sehen es jedoch differenziert – heute werden Comics selbstverständlich von Institutionen wie der Stiftung Lesen empfohlen, mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, von Lese- und Medienpädagog*innen in ihrer Arbeit eingesetzt. Diese Wertschätzung muss nun bei denjenigen ankommen, die Bücher für Kinder kaufen und verkaufen.  

Auch dazu ist es nötig, Comics zu machen, die ebenso wie Kinderbücher zeitgemäße Geschichten erzählen und ihr junges Publikum dabei ernst nehmen.  Denn wenig ist so traurig wie Comics, die Kinder für dumm verkaufen wollen.

(AJ) Vielen Dank und viel Erfolg!

Michael Groenewald, zuständig für Programm, Lektorat und Veranstaltungen.

Hier gehts direkt zum Verlag: https://www.kibitz-verlag.de

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