Wer heute ein Buch oder einen Comic über Russland veröffentlicht, kommt nicht drum herum, ein Vorwort mit Bezug zum Krieg in der Ukraine zu verfassen. So auch der Franzose Pierre-Henry Gomont. Den hier vorliegenden Band hat er weit vor Beginn der Tragödie begonnen. Sein eigentliches Interesse galt dem kommunistischen Experiment, wie er schreibt, das bald einer gefräßigen kapitalistischen Heuschrecke weichen sollte. Seine Betrachtung der Misere hat er in einen Comic gegossen. „Die neuen Russen“: ein postsowjetischer Slapstick-Krimi.
Es ist kaum zu glauben, aber „Die neuen Russen“ ist der erste Comic, der von Pierre-Henry Gomont auf Deutsch vorliegt. Der 1978 geborene Franzose ist zeichnerischer Autodidakt und von Hause aus Soziologe. Daher rührt sein Interesse an Wirtschaft und Politik, schreibt sein deutscher Verlag Schreiber & Leser im Verlagsmagazin.
Zwischen James Bond und Gaston
Dass er in einem früheren Leben wissenschaftlich unterwegs war, schadet dem Comic nicht. Die Geschichte erinnert phasenweise an einen James-Bond-Film, manchmal aber auch an Gaston – so chaotisch wird es mitunter. Es wird gerannt und geballert. Die Hauptfiguren verstecken sich und geraten doch schneller als gedacht in die Höhle des Löwen. Der böse Iwan ist mittlerweile ein eiskalter Geschäftsmann. Gewalt ist eigentlich keine Lösung – hier hilft sie manchmal aber doch auf die Sprünge.
Auf dem Buchrücken heißt es: „Die UdSSR ist zerfallen, die Reichen und Mächtigen machen sich über das Land und seine Reichtümer her. In den Trümmern ihres Vaterlands suchen Slava und Lawrin ihren Weg. Slava Segalow war Künstler und ist eher ein Schöngeist, Dimitri Lawrin ist ein Überlebenskünstler und Schlitzohr, er verhökert alles, was nicht niet- und nagelfest ist.
Es geht ums Überleben
Dramatisch wird die Lage, als die beiden in einer ehemals reichen Bergwerkstadt im Kaukasus auf die schöne Nina und ihren knorrigen Vater Wolodia treffen. Und dann entwickelt auch der Oligarch Morkhoff Begehrlichkeiten…“ Der Leser ahnt, dass diese Begehrlichkeiten nichts Gutes verheißen. Und die Protagonisten sich auf eine gefährliche Mission begeben.
Gomont gelingt es gut, eine Gemengelage darzustellen, die auch ein Endzeit-Szenario mit Potential sein könnte. Alles scheint möglich, wenn man sich nur gerissen genug anstellt. Dass seine Hauptfiguren da einiges an Lehrgeld bezahlen müssen, macht sie zwar sympathisch. Sollte die Geschichte aber an reale Umstände angelehnt sein, wirken sie dann noch zu naiv.
Fortsetzung folgt
Als Leser folgen wir an Ende des ersten Bandes den Spuren von Slava, Dimitri und Nina durch den russischen Schnee. Die inzwischen auch wissen, dass die reichen Oligarchen über Leichen gehen. Und so darf der Leser gespannt sein, wie weit die Story die Protagonisten tragen wird. Band 2 wird uns hoffentlich bald darüber Aufschluss geben.
4 von 5 Comic-Denkblasen
Angaben zum Buch: Die neuen Russen. Band 1: Nach dem Fall. Text/Zeichnungen: Pierre-Henry Gomont. HC, farbig, 112 Seiten. 22,80€.
Hier gehts zum Verlag: Schreiber & Leser
Mehr Rezensionen aus dem Verlagsprogramm gibts hier: S&L auf der Comic-Denkblase
Das Beste, was ich seit langem gelesen habe! Unverwechselbare Handschrift, die zugleich hingerotzt wirkt und komplexe Lebendigkeit erzeugt. Dazu eine plausible tragikomische Geschichte mit gesellschaftlichem Anspruch. Freue mich wie Bolle auf Teil 2!