Nach Strich und Rahmen

Jonas Engelmann kennen manche sicherlich durch seine Arbeit beim Ventil-Verlag. Dort hat er etwa das Tocotronic-Songcomicbook veröffentlicht. Jetzt hat hat der Verleger selbst ein kleines Buch geschrieben: Nach Strich und Rahmen. Darin beschäftigt er sich mit politischen Interventionen im Comic. Jonas schreibt in 18 kurzen Aufsätzen über „Politik bei Spirou und Fantasio“, über die Kontroverse um Art Spiegelmans „Maus“ oder über das Thema Familie im Comic. Im E-Mail-Interview hat er mir ein paar Fragen zu seinem Buch beantwortet: Nach Strich und Rahmen.
© Verlag Andreas Reiffer
Lieber Jonas, was war für Dich der Anstoß für diese Veröffentlichung?

Einen konkreten Anstoß gab es eigentlich nicht. Vielmehr stellte ich beim Sortieren meiner Texte über Comics der letzten Jahre fest, dass sich ein großer Teil davon mit KünstlerInnen beschäftigt, die sich mit ihren Arbeiten in der ein oder anderen Form in politische Debatten eingemischt oder sich mit gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigt haben. Das ist es letztlich auch, was mich an Comics – wie auch an anderer Kunst – immer schon am meisten interessiert hat. Was kann sie uns über Gesellschaft erzählen, wie viel Politisches steckt in ihr, wie verhält sie sich zu politischen Diskursen? Den letzten Anstoß hat dann glaube ich die jüngste Debatte um Art Spiegelmans „Maus“ gegeben. Bei der hat ein Schuldistrikt in Tennessee darüber entschieden, den Comic vom Lehrplan im Geschichtsunterricht für die 8. Klassen zu streichen.

Hier ist der Comic selbst zum Objekt eines politischen Streits geworden, an dem sich sehr viele Fragen zu Ästhetik des Comics nachvollziehen lassen: Wie erzählt er? Was bildet er wie ab? Wie nähert er sich Themen wie im Falle Spiegelmans der Shoah? Es ging in dem Streit auch um die Frage der Angemessenheit, sich über einen Comic diesem Thema anzunähern. Das Komitee hatte die Form, die Spiegelman gewählt hat, strikt abgelehnt – weil sie eben nicht pädagogisch daher kommt. Im Nachklang ist „Maus“ wieder in den Bestseller-Listen gelandet und es wurde über das Verhältnis von Comic und Geschichtsschreibung debattiert. Das ist ein sehr positiver Effekt, der ansonsten absurden aber durchaus folgenreichen Debatte. Und in diesem Feld zu Fragen der Ästhetik und Politik bewegen sich auch die anderen Texte in meinem Buch.  

Familie im Comic wird auch behandelt, etwa am Beispiel: Parallel. © Reprodukt
Wie hast Du Deine Beispiele ausgewählt?

Ich habe versucht, das Politische im Comic an verschiedenen Feldern aufzumachen. Zum einen an der großen Politik, es gibt Texte über Kriege und ihre Darstellung im Comic, über den 11. September im Comic oder den Anschlag auf das Magazin Charlie Hebdo. Aber zum anderen soll auch gezeigt werden, dass das Private ebenso politisch ist. Daher die Texte über die gesellschaftliche Wahrnehmung von Krankheit und Behinderung und ihre Reflexion im Comic oder über die Enge und die Zwänge, die etwa Familienstrukturen mit sich bringen können.

Aber es geht auch um Kämpfe in der Comicgeschichte selbst, etwa um die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit gesellschaftlicher Minderheiten unter den ZeichnerInnen oder den langen Weg, den Frauen im Comicgewerbe zurücklegen mussten, um als Künstlerinnen überhaupt wahrgenommen zu werden. Und mir war es wichtig, internationale Perspektiven aufzuzeigen, daher ist die Auswahl an Comics nicht auf die USA und Westeuropa beschränkt, sondern es finden sich ebenso Texte über Comics aus Marokko, Argentinien oder Südafrika. 

Das Tocotronic-Songcomic-Buch im Ventil-Verlag. © Ventil-Verlag
An wen richtet sich das Buch? An Politologen oder an Comicfans?

Im besten Fall an politisch Interessierte Comicfans und an Comics interessierte Politologen. Wobei letztere keine wissenschaftlichen Texte erwarten dürfen, erstere wiederum keine reinen Fanhuldigungen meiner Lieblings-comics. Es geht mir durchaus um eine tiefergehende Analyse der Comics, die aber immer lesbar und mit mehr Herzblut geschrieben ist, als Wissenschaft das gut heißen würde. 

Warum hast Du das Buch nicht in Deinem eigenen Verlag herausgebracht?

Ich mag die Kopfkiosk-Reihe im Reiffer-Verlag mit kleinen Texten, die thematisch zusammengehalten werden. In meinem eigenen Verlag veröffentliche ich eher die Praxis statt die Theorie. Wir haben ja jetzt seit zwei Jahren diese Songcomic-Reihe im Ventil Verlag, die ich betreue, in der meine Leidenschaft für Comics mit meiner Leidenschaft für Musik zusammenkommt. 

Autor Jonas Engelmann. © privat
Verrate uns ein bisschen über Deine eigene Comic-Sozialisation? Womit hast Du angefangen? Was sind Deine Lieblinge?

Ich denke, ich bin recht klassisch über Lustige Taschenbücher, Asterix und Lucky Luke sozialisiert. Viel mehr war in den 1980ern in der westdeutschen Provinz nicht zu haben. Freunde meiner Eltern hatten Seyfried-Alben und diese billigen Zweitausendeins-Crumb-Ausgaben, die kamen dann kurz danach. Und als in den frühen Neunzigern „Maus“ auf Deutsch erschienen ist, hat mich das ziemlich gepackt. Ich habe dann später Literaturwissenschaft studiert, dort allerdings immer wieder mal Comicthemen unterbringen können und habe schließlich 2010 über Gesellschaftsbilder im Independent-Comic meine Dissertation geschrieben. 

Meine Lieblinge finde ich schwierig zu fassen. Aber wenn ich mir mein Regal anschaue, bin ich wohl hauptsächlich geprägt von den US-amerikanischen Indie-ZeichnerInnen der 1980er und 1990er Jahre, neben Art Spiegelman, Julie Doucet, Gary Panter, Charles Burns etc. Außerdem bin ich großer Fan von allem, was Joann Sfar so macht. An Zeitungsstrips geht kaum was über Calvin & Hobbes und wenn ich mich für einen Klassiker entscheiden müsste, dann vermutlich für Krazy Kat.

Vielen Dank und viel Erfolg für Dein Buch.

Hier gehts zum Verlag Reiffer: https://www.verlag-reiffer.de/

Und hier zum Ventil-Verlag:  http://www.ventil-verlag.de

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