ANIME fantastisch – Ausstellung im Schauraum: Comic + Cartoon

Der unermüdliche Alexander Braun hat erneut eine neue Ausstellung und einen dazu gehörigen Katalog auf die Beine gestellt. Wer meinen Blog comic-denkblase verfolgt, konnte hier schon öfter von und über den Kunsthistoriker und Comic-Experten lesen. Hier: https://comic-denkblase.de/nimm-das-adolf-zweiter-weltkrieg-im-comic oder hier: https://comic-denkblase.de/george-herrimans-krazy-kat-neues-buch-von-alexander-braun Dieses Mal widmet er sich einem Comic-verwandten Genre: den japanischen Anime. Wie wir alle sind auch er und seine Ausstellung von der Corona-Pandemie betroffen. Immerhin: Es bleibt Zeit für ein Interview.

(AJ) Lieber Alexander, was bedeutet der lockdown für Dich, den Schauraum: Comic und Cartoon und die neue Ausstellung?

(AB) Wir haben die Anime-Ausstellung komplett aufgebaut, aber nicht eröffnen können. Jetzt warten wir auf die Rückkehr des sozialen Lebens, dass sie auch endlich jemand sehen darf. Wir haben aber zumindest ein paar kleine Filmchen für die sozialen Medien gedreht, in denen man als Vorgeschmack schon einen Eindruck erhält.

Einblick in die Ausstellung im Schauraum ©Alexander Braun (wie bei allen anderen Fotos auch)

(AJ) Wie fühlt sich das an, eine fertige Ausstellung nicht präsentieren zu können?

(AB) Ich glaube, es gibt zur Zeit für viele Menschen schwerwiegendere Probleme als eine nicht eröffnete Ausstellung. Dennoch fühlt es sich traurig an. Auf den letzten Metern ist das immer eine enorme Anstrengung, bis zuletzt wurde gerahmt und gestrichen, es kamen lang erwartete Sendungen aus Japan wirklich auf den allerletzten Drücker an – und dann passiert plötzlich nichts, alles ist fertig, aber niemand guckt es sich an.

Buchcover zum Ausstellungskatalog ©Alexander Braun

(AJ) Gibt es finanzielle Einbußen?

(AB) Ja, aber auch das hält sich in Grenzen. Bestimmte bereits bezahlte PR-Maßnahmen, wie z.B. Plakatierungen verpuffen, Flyer o.ä. sind Makulatur. Das ist nicht gravierend, aber mit unseren limitierten Budgets können wir auch nicht so einfach sagen, das machen wir im Sommer alles noch einmal.

Seite 12 aus dem umfangreichen Katalog ©Alexander Braun

(AJ) Erneut hast Du einen beeindruckenden Katalog vorgelegt. Nach »Ente süß sauer« zum Werk von Carl Barks und seinen Nachfolgern und »Nimm das Adolf«, der Rolle der Comics in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg, nun »ANIME fantastisch«. Das ist – neben dem mega Krazy Kat-Buch bei TASCHEN in 2019 – die vierte relevante Publikation in gut einem Jahr. Wie schaffst Du das?

(AB) Keine Ahnung. Lange Arbeitstage, Fleiß und Selbstausbeutung.

Arbeit, nichts als Arbeit 😉

(AJ) Kannst Du uns beschreiben, wie ein „normaler“ Arbeitstag bei Dir aussieht?

(AB) In der Regel sitze ich um 9.00 Uhr am Bildschirm. Feierabend ist gegen 21.00 oder 22.00 Uhr; gegen Ende eines Buches oder einer Ausstellung dann eher 23.00 bis 0.00 Uhr. Sieben Tage die Woche.

Auch Biene Maja darf nicht fehlen, Seite 115 im Katalog ©Alexander Braun

(AJ) Das ist lang und viel. Müssen denn die Ziele so hoch gesteckt sein?

(AB) Müssen muss gar nichts. Aber der Schauraum in Dortmund ist eine große Chance. Es fehlt nach wie vor ein richtiges Comic-Museum in Deutschland. Wir haben nur Institutionen, die »auch mal« Comic-Werke zeigen, aber keine, die das als ihre Kernkompetenz definiert. Dass wir innerhalb von nur einem Jahr in aller Munde sind, hat dann am Ende auch etwas mit Qualität zu tun.

Aha-Effekt beim Comic-Neuling

Wir schaffen es, einen Aha-Effekt beim normalen Besucher zu erzeugen, der noch wenig Ahnung von Comics und Co. hat und sich die Augen reibt, was man alles anhand von Comics »erzählen« kann – etwa über die Zeitgeschichte oder das Medium des Zeichnens an sich. Das Fachpublikum ist darüber hinaus begeistert, weil es seltene Originale zu sehen bekommt. Und für die Nachhaltigkeit publizieren wir begleitende Bücher, die den kulturhistorischen Horizont vertiefen, und die wir wiederum sehr preiswert abgegeben, damit sich das jeder leisten kann. Bei »Nimm das, Adolf« hatten wir zuletzt 1.500 Besucher im Monat und die beiden bisherigen Kataloge sind so gut wie vergriffen. Das alles quasi aus dem Stand und ohne große Werbebudgets. Kurz gesagt: Wir versuchen für das Medium der lang ersehnte Leuchtturm zu sein.

Einige Abbildungen passen im Querformat auf eine Doppelseite. ©Alexander Braun

(AJ) Deine Ausstellungen sind denkbar komplex. Ich stelle mir vor, dass historische und thematische Ausstellungen viel arbeitsaufwendiger sind als zum Beispiel solche, die nur einem einzelnen Künstler gewidmet sind.

(AB) Das ist richtig. Wenn man ein bestimmtes zeithistorisches Phänomen darstellen will, ist es erheblich zeitintensiver, ein Exponat zu finden, das genau das auch zeigt. Monographische Ausstellungen – am besten noch zu einem deutschen Künstler – gehen schnell: man fährt hin, sucht zusammen was aus den Schubladen aus und fertig ist die Ausstellung.

Warum Anime?

(AJ) Wie kam es jetzt zu dem Thema »ANIME fantastisch«?

(AB) Etwas über Japan zu machen, war ein Wunsch der Kulturpolitik, nicht zuletzt weil Dortmund eine sehr lebendige und große Cosplay-Szene hat. Außerdem sind wir als schauraum: comic + cartoon in unserem zweiten Jahr quasi noch in der Selbstdefinitionsphase. Das heißt, wir haben bislang gezeigt: Wir können »populär« (Donald Duck). Wir können historisch relevant (»Zweiter Weltkrieg«). Wir können aber auch Nachbardisziplinen (Animationsfilm) und fremde Kulturen (Japan).

(AJ) Du bist ja eher als Comic-Experte bekannt. Fiel es Dir schwer, Dich in das Feld des japanischen Zeichentrickfilms einzuarbeiten?

(AB) Nein, gar nicht. Wenn man mit populären Bilderzählungen zu tun hat, sollte man eine gewisse Grundkompetenz mitbringen. Spezialwissen kann angelesen oder recherchiert werden. Für mich ist es viel gewinnbringender »frisch« auf etwas zu blicken, das mich interessiert, als alte Themen immer wieder aufzuwärmen. Ich würde jetzt nicht gerne wieder etwas Umfangreiches zu Winsor McCay oder George Herriman machen wollen. Das, was mich an diesen Werken interessiert hat, ist gesagt.

(AJ) Gab es beim Thema Anime Aspekte, die Dich besonders überrascht haben?

(AB) Es gibt eine grundsätzliche Frage, die ich extrem spannend finde: Wir zeigen Dougas und Cels, also Bleistiftvorzeichnungen auf Papier und die Malerei auf Folie, von der der Film geschossen wurde. Darf man das? Was ich meine, ist: Stelle ich stellvertretend durch das Material, das zur Verfertigung des Films nötig war, immer auch den ganzen Film aus, oder dürfen diese Zeichnungen einen eigenen ästhetischen Wert für sich beanspruchen – unabhängig vom Film?

(AJ) Und wie ist Deine Antwort?

(AB) Ja, sie dürfen. Definitiv. Wir haben zum Teil fantastische Zeichnungen in der Ausstellung, die allerdings zu eher mittelmäßigen Filme gehören. Der Wert eines Films als Ganzes basiert viel stärker auf der Erzählung als auf seiner Optik. In der einzelnen Einstellung in einer Szene kehrt sich diese Hierarchie um: hier dominiert dann die Qualität der Zeichnung und die Erzählung tritt in den Hintergrund.

Der gute alte Astro Boy, Katalog Seite 167, ©Alexander Braun
Innovatives Ausstellungskonzept

(AJ) Du hast mir erzählt, dass es in der Ausstellung eine mediale Innovation geben wird: mehr als ein Dutzend Beacons. Was ist das?

(AB) Das sind kleine Sender, die vor bestimmten Exponaten zusätzliche Filminformationen auf Dein Smartphone senden. Wir haben das von den Dortmunder Stadtwerken gesponsert bekommen und setzen das zum ersten Mal ein. Ich bin selbst gespannt, wie es funktionieren wird. Wir haben z.B. Erklärfilme gedreht, in denen die Folien, die dort hintereinander im Rahmen an der Wand hängen, aufgefächert und erklärt werden. So kann man das Original sehen und gleichzeitig das Prinzip des Zeichentrickfilms besser verstehen.

(AJ) Das Buch zur Ausstellung gibt es parallel auch in einer Buchhandelsausgabe zu kaufen. Der Preis ist für so einen dicken Wälzer äußerst moderat. Wie kann der Verlag das für EUR 29,99 kalkulieren?

(AB) Ich denke, für den Verlag ist ANIME fantastisch eher eine Liebhaberei. Die verdienen ihr Geld mit anderen Titeln. Das hängt am Ende immer am persönlichen Engagements eines Redakteurs, der das Buch sieht, es toll findet und sagt: Das machen wir! So hart das Business des Bücherverlegens auch ist, am Ende sind es immer noch Bücher und die werden von jeher von der Leidenschaft Einzelner getragen, die sagen: Ich will, dass es das gibt.

Zahlreiche Skizzen und fertige Cels illustrieren den Katalog ©Alexander Braun

(AJ) Am Ende kann ich mir die Frage nicht verkneifen: Was steht als nächste Ausstellung an?

(AB) Das hängt jetzt ganz stark davon ab, wann wir eröffnen werden. Wenn das noch lange dauert und wir nach hinten hin verlängern müssen, werden wir auch die geplante Ausstellung danach neu überdenken müssen. Will sagen: Ich kann es Dir noch gar nicht sagen, es gibt mehrere denkbare Optionen.

Angaben zur Ausstellung:
ANIME fantastisch (Ausstellung bis Oktober 2020)
schauraum: comic + cartoon
Max-von-der-Grün-Platz
744137 Dortmund
http://www.facebook.com/schauraumcomiccartoon
http://www.instagram.com/schauraumdortmund
http://comic.dortmund.de
Katalogbuch im Riva Verlag:
ANIME fantastisch, 288 Seiten, mehr als 300 Abb. in Farbe, EUR 29,99

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert