Will Eisner – Vater der Graphic Novel

Und wieder einmal steht eine Ausstellung von Comic-Experte Alexander Braun in den Startlöchern. Im Schauraum comic + cartoon in Dortmund hängt seit Mitte Februar die Schau „Will Eisner – Graphic Novel Godfather“. Wie gewohnt warten auf die Besucher zahlreiche Originale, die Braun aus aller Welt zusammen getragen hat. Coronabedingt muss auch diese Ausstellung erst einmal auf Zuschauer verzichten. Allerdings gibt es einen virtuellen Rundgang im Netz (s.u.). Über den Hintergrund zur Ausstellung und natürlich über Will Eisner unser Interview mit dem Comic-Denkblasen-Stammgast Alexander Braun.

Einblick ins Begleitbuch: der berühmte Eisner-Regen. ©2021 Will Eisner Studio Inc. und Alexander Braun
(AJ) Lieber Alexander, dieses Mal also eine Ausstellung zu Will Eisner. Warum hat Eisner in der Comic-Szene eigentlich so einen herausragenden Ruf?

(AB) Weil er alles erfunden hat! (lacht) Nein, alles hat er nicht erfunden, aber sehr viel. Ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob er wirklich – wie Du sagst – in der »Comic-Szene« einen herausragenden Ruf hat. Ich befürchte, der gemeine Comic-Leser hat noch nie etwas von ihm gelesen, sondern hat nur seinen Namen schon mal irgendwo gehört. Verehrt wurde und wird er vor allem von den Kreativen. Die sehen in ihm tatsächlich eine Art Vater-Figur. Die Anerkennung durch Kolleginnen und Kollegen wegen seiner vielen Innovationen für das Medium Comic – inklusive der »Graphic Novel« – ist wirklich gigantisch und kommt auch immer wieder von überraschender Seite: etwa von Frank Miller (Batman – The Dark Knight Returns; Sin City, 400). Der betet Eisner geradezu an – auch wenn er die Spirit-Verfilmung 2008 voll gegen die Wand gefahren hat, was Eisner glücklicherweise nicht mehr erleben musste.

Cover zum Ausstellungsbuch ©2021 Will Eisner Studio Inc. und Alexander Braun
In seiner Karriere hat Will Eisner immer wieder neue Wege beschritten. Kannst Du beschreiben, wie innovativ er war?

Eisner hatte von Beginn an – seit den frühen 1940er-Jahren als er gut 20 Jahre alt war – immer große Dinge im Medium Comic gesehen. Er war entgegen der allgemeinen Geringschätzung immer der Meinung, dass der Comic auf Augenhöhe mit allen anderen künstlerischen Gattungen rangieren könnte. Comic als Literatur: Literatur mit Bild undText. Also hat er mit seinem (Anti-)Helden The Spirit von 1940 bis 1952 wie in einem Laboratorium alle denkbaren Möglichkeiten des grafischen Erzählens ausprobiert. Das war absolut wegweisend und neu und hochgradig innovativ. Superhelden-Eskapismus hat Eisner nie interessiert. Die Figur des Spirits war lediglich sein Vehikel, um in die Schattenzonen der kapitalistischen Gesellschaft abtauchen zu können. Eisner wollte vom Milieu der »kleinen Leute« in New York erzählen, von den Vergessenen, den Verlierern, den Ganoven, den Straßenkindern. Nacht. Regen. Brooklyn. Die Bronx. Das waren seine Themen. Aber niemals larmoyant oder moralinsauer, sondern gleichermaßen hardboiled, wie mit Humor.

Der Schauraum comic + cartoon ©Alexander Braun
Warum hat er 1952 mit The Spirit aufgehört? Er war doch sehr erfolgreich.

Das gesellschaftliche Klima hatte sich verändert. Comic-Hefte wurden gehasst. 1954 trat der Comics Code in Kraft und zensierte alle Erwachsenenthemen. Eisner hatte das Gefühl, dass er nicht dorthin gelangen konnte, wohin er eigentlich wollte. Mit den Möglichkeiten seiner Zeit, hatte er für sich alles erreicht. Aber für Comic als Literatur war die amerikanische Gesellschaft noch nicht bereit. Außerdem hatte er 1950 Ann Weingarten geheiratet und zwei Kinder gezeugt. Er wollte für sich, seine Familie und seine Studio-Mitarbeiter halbwegs sichere Verhältnisse.

Ein Blick in die Ausstellung ©Alexander Braun
Dann taucht er erst wieder in den frühen 1970er-Jahren auf. Er war fast 20 Jahre von der Bildfläche verschwunden. Was hat er in der Zwischenzeit gemacht?

Weiter Comics! Eisner hat nie aufgehört, Comics zu machen, nur nicht länger im Kontext der Comic-Industrie. Eisner hat sich 1952 quasi neu erfunden. Er hat die Gattung der Unterrichts-Comics geschaffen und entwickelt. Er hat die Möglichkeiten ausgelotet, wie man mit Comics »normalen« Lesern Prozesse und Zusammenhänge besser erläutern kann. Das hat er für staatliche Stellen getan, für die Industrie und allen voran fürs Pentagon. Er hat für die U.S.-Army u.a. das PS-Magazin aus der Taufe gehoben, ein kleines, monatlich erscheinendes Heft, das den G.I.s bildlich und humoristisch den technischen Umgang mit dem Equipment erläuterte – Pflege und Wartung von Zündkerzen, Keilriemen, Stoßdämpfern, und auch den richtigen Umgang mit ihren Waffen, um Unfällen vorzubeugen.

Natürlich geht es in Buch und Ausstellung auch um „Ein Vertrag mit Gott“.
©2021 Will Eisner Studio Inc. und Alexander Braun
Warum ist er dann in den 1970er-Jahren in die Comic-Szene zurückgekehrt?

1971 besuchte er auf Einladung des Veranstalters die noch junge Comic-Convention in New York, lernte dort den 30 Jahre jüngeren Underground-Comic-Zeichner und -Verleger Denis Kitchen kennen und war wie vom Schlag getroffen. Der Comics Code war überwunden und die Hippie-Generation machte mit ihren Underground-Comics all das, wovon Eisner immer geträumt hatte: Sie unterwarfen sich keinen Produktionszwängen, waren Autoren und freie Schöpfer ihrer Produkte, behielten das Urheberrecht an ihren Kreationen, partizipierten am Umsatz und zeichneten, wie ihnen der Schnabel gewachsen war. UND: Sie waren höchst interessiert am Werk des Mitte-50-Jährigen, der 30 Jahre zuvor bereits »alles erfunden hatte«. Das war enorm stimulierend für Eisner. Also gab er seinen Spirit für Reprints frei und begann an etwas ganz Neuem zu arbeiten…

Will Eisner und der Antisemitismus. ©Alexander Braun
Der Graphic Novel!

Genau. Eisner träumte erneut seinen alten Traum vom Comic als Literatur: Keine Genre-Themen, kein Crime, kein Sci-Fi, kein Horror, keine Romanzen, kein Abenteuer, keine Helden, keine endlosen Fortsetzungen, keine Hefte, sondern literarische Comic-Geschichten in Buchform. So wie ein Schriftsteller ein freier Künstler ist, der Inhalt, Umfang, Stil und Form seiner Erzählung frei definiert. Das wollte Eisner auch für den Comic als Selbstverständlichkeit erlangen. Also erschien mit A Contract with God (dt. Ein Vertrag mit Gott) 1978 ein »Comic-Roman« mit vier Geschichten über ganz normale Menschen mit ganz normalen Lebensproblemen: Ein Rabbi hadert mit Gott, weil er seine Tochter viel zu früh zu Grabe tragen musste. Ein kleines Mädchen trickst einen Hausmeister aus und treibt ihn in den Selbstmord. Ein Straßensänger während der Weltwirtschaftskrise steht so knapp vor einer Opern-Karriere, kann aber die Finger nicht von der Flasche lassen. Und schließlich: In der Ferien-Sommerfrische der Catskill-Mountains vollzieht sich das sexuelle Coming of Age des 15-jährigen Will Eisners, während die Ehe seiner Eltern in Trümmern liegt. Dergleichen Themen hatte es im Comic nie zuvor gegeben. Jetzt gab es sie!

Will Eisner als Wegbereiter. ©2021 Will Eisner Studio Inc. und Alexander Braun
Will Eisner – Herr der Graphic Novel? Kann man das sagen? Hat er sie erfunden?

Ja und nein. So etwas wie eine »Graphic Novel« kann man nicht erfinden. Man kann den Begriff wählen, ihm eine künstlerische Form geben und dann alles daransetzen, ihn durchzusetzen. Etwas anders gelagerte Versuche, den Comic als Buch zu etablieren, hat es punktuell auch schon vor Eisner gegeben. Aber alle diese Versuche waren gescheitert und blieben Solitär. Eisner hatte den langen Atem, das Format mit immer neuen Graphic Novels – egal, wie erfolgreich sie beim Publikum waren – zu etablieren. Erst dann wurde eine kulturelle Bewegung daraus. Erst dann kam Maus von Art Spiegelman und und und.

The Spirit darf natürlich nicht fehlen. ©Alexander Braun
Du hattest für die Ausstellung und Dein Buch auch Kontakt zu seiner Familie. Wie wird dort sein Erbe gepflegt?

Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt Denis Kitchen. 30 Jahre lang war Kitchen Verleger, Vertrauter und Freund von Will Eisner, und blieb es für Eisners Witwe Ann auch über Wills Tod 2005 hinaus, bis heute. Leider ist Ann im November 2020 überraschend gestorben. Sie war zwar bereits 97, aber intellektuell voll auf der Höhe und hat das Projekt sehr wohlwollend begleitet: nicht zuletzt, weil es im deutschsprachigen Raum stattfindet. Anns Familie hat deutsche Wurzeln und Will Eisners Vater ist 1914 aus Wien ausgewandert. Will kannte also von Zuhause sowohl Deutsch, als auch Jiddisch. Leider kann Ann das Ergebnis, Buch und Ausstellung, jetzt nicht mehr miterleben. Das hat uns sehr traurig gemacht. So kurz vor dem Ziel.

Wie immer ordnet Kunsthistoriker Alexander Braun zeitgeschichtlich ein.
©2021 Will Eisner Studio Inc. und Alexander Braun
Als zweifacher Eisner-Award-Gewinner (2015 und 2020) und Experte für die Pioniere des Comics hättest Du Dich doch eigentlich schon längst mit Eisner beschäftigten müssen. Warum erst jetzt?

Naja. Ich habe in den letzten zwölf Jahren elf Ausstellungen kuratiert und je nach Zählung 13 bis 15 Bücher geschrieben. Das ist eine ziemliche Menge und geht leider nur nacheinander. Die Künstler, die ich noch nicht »geschafft« habe, sind also ziemlich viele. Die Projekte haben außerdem eine Eigendynamik, weil es stets auch von den jeweiligen Partnern abhängt – Museen, Verlage –, wo deren Interessen gerade liegen. Als ich mit Eisner angefangen habe zu planen, war nicht absehbar, dass ich im Sommer 2020 noch einmal einen Eisner-Award gewinnen würde. Das war purer Zufall, zumal der Preis ja auch nur den Namen Eisner zu seinen Ehren trägt. Eisner hat ihn weder gestiftet, noch hat die Vergabe irgendetwas mit der Familie zu tun. Der Eisner-Award wird extrem unabhängig von einer Non-Profite-Organisation vergeben und die achtet peinlich darauf, dass es keine Einflussnahme von Industrie oder Verlagen gibt. Das macht diesen »Oscar« der Comic-Branche letztlich ideell so wertvoll, weil es nicht einer von diesen »Klüngel«-Preisen ist.

Originale, Originale, Originale. ©Alexander Braun
Die Ausstellung ist in Dortmund fertig eingerichtet und wartet (Corona-bedingt) nur noch auf Öffnung. Allerdings kann man sie in 3D bereits im Internet virtuell besuchen. Welche Highlights erwarten uns?

Wir haben nur knapp 200 qm Ausstellungsfläche zu Verfügung. Dennoch sind alle Aspekte des Werks adäquat vertreten: allein drei komplette Spirit-Geschichten (neben diversen Einzelseiten), Originale aus Eisners PS-Jahren, und alle relevanten Graphic Novels – darunter allein neun Seiten aus Contract with God!

Wird die Ausstellung von Dortmund noch weiter wandern?

Ja, wird sie: 2022 zum Comic-Salon nach Erlangen und ins Cartoonmuseum Basel. Sowie 2023 ins Jüdische Museum/Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Rendsburg. Letzteres freut mich besonders: Wenn es uns gelingt, Museen für den Comic zu begeistern, die bislang eher Berührungsängste mit dem Medium hatten. Das ist immer wieder ein weiterer Schritt hin zur Normalität.

Und noch mehr… ©Alexander Braun
Jetzt frage ich Dich in alter Tradition als letztes, welches nächste Projekt wir von Dir erwarten dürfen …

…und wie immer antworte ich Dir in alter Tradition: Lass Dich überraschen! Nein, im Ernst: Das ist keine Koketterie. Ich mag öffentlich nichts sagen, was dann am Ende nicht klappt, weil es die Umstände nicht erlauben. Ich habe auf meinem Schreibtisch einen Zettel, da stehen zehn potentielle Ausstellungen/Bücher drauf, die ich gerne realisieren würde. Jetzt schnaufe ich mal für eine, zwei Wochen durch und gucke, zu welchem ich ad hoc am meisten Lust habe – und ob sich dafür passende Partner finden lassen.

Dann freuen wir uns auf alles, was da kommen wird, und danken Dir wieder einmal ganz herzlich für ein substantielles Comic-Sachbuch mehr im Regal.
Der zweifache Eisner-Award Gewinner Alexander Braun ©Robert Miguletz
Will Eisner – Graphic Novel Godfather. Ausstellung im schauraum: comic + cartoon in Dortmund bis mind. 27. Juni 2021 (Verlängerung wahrscheinlich!). Danach in 2022 beim Comic-Salon Erlangen und im Cartoon Museum Basel. 2023 im Jüdischen Museum Rendsburg. 
Virtuelle 3D-Ausstellung hier: https://21.de/schauraum/
Eine Monographie über Will Eisner von Alexander Braun mit demselben Titel erscheint Ende Februar im avant-Verlag, Berlin: 384 Seiten, 500 Abbildungen, EUR 39,-.

Leseempfehlungen: Ein Vertrag mit Gott, Carlsen Verlag, 500 Seiten, EUR 19,90 / Spirit-Gesamtausgabe The Spirit Archive bei Salleck Publication, je Band ca. 200 Seiten, EUR 46,- oder 49,-. / Als Eisners wichtigste und kreativste Zeit beim Spirit gelten die Jahrgänge 1946 bis 1951. / Auswahlband: The Sprit – Die besten Geschichten, ca. 200 Seiten, EUR 12,90

Alexander Braun ist Dauergast bei der comic-denkblase. Hier geht es zu früheren Blog-Beiträgen mit ihm: 

https://comic-denkblase.de/herzliche-gratulation-erneut-ein-eisner-award-fuer-alexander-braun

https://comic-denkblase.de/george-herrimans-krazy-kat-neues-buch-von-alexander-braun

https://comic-denkblase.de/anime-fantastisch-ausstellung-im-schauraum-comic-cartoon

https://comic-denkblase.de/nimm-das-adolf-zweiter-weltkrieg-im-comic

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert