Ein Antikriegscomic, eine Liebesgeschichte, ein Heldenepos. Der Comic Rhapsodie in Blau des italienischen Zeichners Andrea Serio ist eine Perle im beeindruckenden Programm des Hamburger Verlags Schreiber & Leser. Wenn der Tod zu einem schwarzen Strich wird und das Spiel mit hell und dunkel so perfekt funktioniert – dann hat man einen wahrlich großartigen Comic vor sich.
Es muss nicht immer schrill sein und knallen. Comics können auch anders. Rhapsodie in Blau ist das beste Beispiel dafür. Es ist ein leises Buch. Eines, das zum Blättern einlädt, vor und zurück. Zum Schwelgen in malerischen Landschaften. Zum Springen zwischen den Zeiten. Andrea Serio erzählt keine chronologische Geschichte. Er vermittelt Gedanken, beschreibt Schicksale.
Krieg und Frieden
Es beginnt im Triest des Jahres 1938. Eigentlich könnte alles so unbeschwert sein. Sommer, Urlaub, Freunde. Doch über allem schwebt das größte Unglück der Geschichte. Auch in Italien. Mussolini erlässt die Rassengesetze. Mit einem Schlag ändert sich alles.
Der junge Andrea wird von seinen Eltern gemeinsam mit seiner Schwester nach New York geschickt. Auf einem großen Ozeandampfer überqueren sie den Atlantik. Kommen bei einer Tante unter. Mit acht anderen Menschen wohnen sie dort unter einem Dach.
Der Krieg vor der neuen Haustür
New York wird schnell zur neuen Heimat. Andrea findet einen Job, lernt eine Freundin kennen. Doch was im alten Europa passiert lässt ihn natürlich nicht los. Als das Öl von versenkten Tankern an die Küste gespült wird, reift in dem jungen Mann der Entschluss: er meldet sich zum Militär. So wie er die USA erreicht hat, verlässt er sie auch wieder – auf einem Dampfer.
Als Sanitätsoffizier versucht er im März 1945 unweit seiner Heimat den schwarzen Kameraden Morris zu retten. Und wird selbst zum Opfer. Andrea Serio lässt seinen Protagonisten aus dem dunklen Schützengraben springen. Die feindliche Linie wird zum schwarzen Hügel. Der Tod von Andrea bleibt unausgesprochen. Eine dunkle Linie sagt alles.
Roman als Vorlage
Das Buch orientiert sich frei an dem Roman Ci sarebbe bastato (deutsch: Es wäre genug gewesen) von Silvia Cuttin, den sie 2011 veröffentlicht hat. Die Nacherzählung von Andrea Goldsteins Leben als Soldat stützt sich auf den Briefwechsel mit seiner Cousine Cati.
Der Comic spielt nur zu einem kleinen Teil in New York. Aber der George Gershwin-Titel Rhapsody in Blue schwingt überall mit. Vom melancholischen Beginn, über den bombastischen Mittelteil bis zum furiosen Ende: Musik und Comic ergänzen sich kongenial. Vielleicht sollte der Verlag bei einer Neuauflage eine CD beilegen oder einen QR-Code zum Nachhören abdrucken.
Musik und Comic ergänzen sich kongenial
So wie die Musik ihrem eigenen Rhythmus folgt, verändert auch der Zeichner seine Seitenarchitektur. Wechselt zwischen großformatigen Stimmungsbildern und kleinteiligen Detailzeichnungen. Vieles vermittelt sich ohne Text. Dialoge und Erzählertexte werden sparsam eingesetzt. Alles im geeigneten Moment. Mehr komponiert als gezeichnet.
Erst seit 2011 veröffentlicht der Künstler Andrea Serio auch Comics. Das Impressionistische scheint ihm zu liegen. Ein Blick auf seine veröffentlichten Art-Books bestätigt diesen Eindruck. Bleibt zu wünschen, dass Schreiber & Leser sich auch seiner künftigen Werke annimmt.
Leise Töne, die lange nachhallen
Rhapsodie in Blau jedenfalls zählt schon jetzt zu einem meiner Favoriten für die Bestenliste 2021. Ein Buch, das gerade wegen seiner leisen Töne lange nachhallen wird. Absolute Leseempfehlung!
5 von 5 Comic-Denkblasen
Angaben zum Buch: Rhapsodie in Blau. Zeichner/Texter: Andrea Serio. Aus dem Italienischen von Resel Rebiersch. Hardcover, farbig, 128 Seiten. Verlag Schreiber & Leser. 27,80€
Hier geht es zum Künstler: http://andreaserio.altervista.org
Und hier zum Verlag: https://www.schreiberundleser.de