Wer sich in die Welt des Donjon begibt, taucht ein in ein verwirrendes Universum. Die Reihe ist nicht durchgehend nummeriert. Sie hat verschiedene Zeitstrahlen. Das Figurenensemble ist anders, als es Comicleser sonst so kennen. Und das, obwohl es in der Welt der Neunten Kunst ja durchaus jede Menge seltsame Gestalten gibt. „Donjon ist eines der komplexesten und produktivsten Unterfangen in der gesamten Welt der Comics“ – heißt es in einem Flyer, den es zum besseren Verständnis der Reihe gibt. Anläßlich des Erscheinens des Bandes „Tränen und Nebel“, habe ich einen Experten um seine Erläuterungen gebeten. Filik Kolek (unter anderem Pressereferent von Reprodukt) kennt jeden Band in- und auswändig und hat sich meinen Fragen gestellt. Donjon: Ob Monster, Antipoden oder Morgengrauen.
Lieber Filip, soeben ist ein neuer Band aus dem Donjon-Universum erschienen: „Tränen und Nebel“. Man kann da schnell den Überblick verlieren, bei den vielen Alben, die es mittlerweile gibt. Du hast alle gelesen. Aber: Versteht man das einzelne Album auch, wenn man die anderen nicht kennt?
„Tränen und Nebel“ ist der offiziell neunte Band der Hauptreihe bzw. Donjon Zenit, mit der vor über 20 Jahren der ganze Donjon-Spaß begann. Und gleichzeitig ist es der fünfte, vom französischen Zeichner Boulet gestaltete Band – die ersten vier wurden noch von Lewis Trondheim selbst gezeichnet. Natürlich bilden alle neun Zenit-Bände eine größere, zusammenhängende Geschichte, aber ich würde sagen, dass die Boulet-Bände einen Handlungsbogen bilden, der sich von den früheren Trondheim-Kapiteln abheben (zwischen Band 4 und 5 lagen damals auch mehrere Jahre). Aber um auf deine Frage zurückzukommen – man sollte am besten die vorherigen Bände kennen, sonst könnte man sich ein bisschen in dem Wust aus Nebenplots und -figuren verlieren. Zumindest sollte man die Boulet-Bände zu Hause stehen haben, weil die alle aus einem Guss sind und ganz offensichtlich auf einen größeren narrativen Höhepunkt zusteuern.
Es geht wieder mal um Monster und Zeremonien. Um ein Baby und seine Eltern, um Flucht und Kerker… Kannst Du die Geschichte kurz zusammenfassen?
Alles ein absurder Spaß? Oder steckt mehr hinter dem Donjon-Universum?
Donjon ist eine ziemliche Wundertüte. Je nach Zeitebene und kreativem Team kriegt man mal makabren Spaß und mal hintersinnige, allegorische Fantasy. In der deutschen Comic-Szene gibt es bei den Zeichner*innen nicht viele Überschneidungen zwischen politischen/autobiografischen Stoffen und Fantasy/SciFi. Diese Berührungsängste haben die Franzosen und Belgier nicht. Hier dürfen sich Zeichner*innen austoben, die zur Creme de la Creme der frankobelgischen Comic-Welt gehören. Bei uns sind sie eher als Graphic-Novel-Autor*innen bekannt. Guy Delisle etwa oder David B., Kilofer, Christophe Blain und viele andere. Sie sich hier austoben und die krudesten Metzeleien und wildeste Fantasy-Action zu Papier bringen.
Innerhalb der Reihe gibt es verschiedene Zeiteinheiten, zu denen immer wieder neue Alben veröffentlicht werden. Wie unterscheiden die sich inhaltlich?
Hinter dem Projekt stecken prominente Namen: Joann Sfar, Lewis Trondheim etwa. Autoren des französischen Verlags L’Association. Aber auch viele andere Zeichner stecken dahinter. Ist das mittlerweile fast eine Auszeichnung, wenn man ein Donjon-Album machen darf?
Vor allem die „Monster“-Reihe ist eine Spielwiese für die französische Independent-Szene. Jeder Band ist von einem anderen Zeichner, in komplett unterschiedlichen grafischen Stilen, Typographie, Kolorierung, etc. Das Besondere ist auch, dass Trondheim und Sfar, die alle Donjon-Alben zusammen texten, jedes der Donjon Monster von der Atmosphäre, dem Humor und dem Plot her speziell den jeweiligen Zeichner*innen auf den Leib und Zeichenstil schreiben.
Ist eigentlich abzusehen, wieviele Alben es in der Reihe geben wird? Wo wird uns die Reise hinführen?
Lewis Trondheim und Joann Sfar sind die zwei wohl produktivsten Künstler Frankreichs. Jeder hat an die 200 Publikationen in der Vita. Vor allem Sfar ist ein erratischer kreativer Kopf, der unzählige Reihen zeitgleich textet und zeichnet, beendet und abbricht und nach Jahren wieder aufgreift. Ich denke mal, so lange Trondheim und Sfar sich in ihrer Donjon-Welt künstlerisch austoben können und sich selbst nicht langweilen oder wiederholen, wird es neue Alben geben – schließlich haben sie ja ein Fantasy-Epos geschaffen, in dem über 10.000 potentielle Geschichten stecken …
Wir sind gespannt, wie es weitergeht. Ganz herzlichen Dank lieber Filip.
Angaben zum Comic: Donjon. Tränen und Nebel. Text: Joann Sfar und Lewis Trondheim. Zeichnungen: Boulet. Farben: Walter. SC, farbig. 48 Seiten. Verlag Reprodukt. 13,-€
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