Donjon: Ob Monster, Antipoden oder Morgengrauen

Wer sich in die Welt des Donjon begibt, taucht ein in ein verwirrendes Universum. Die Reihe ist nicht durchgehend nummeriert. Sie hat verschiedene Zeitstrahlen. Das Figurenensemble ist anders, als es Comicleser sonst so kennen. Und das, obwohl es in der Welt der Neunten Kunst ja durchaus jede Menge seltsame Gestalten gibt. „Donjon ist eines der komplexesten und produktivsten Unterfangen in der gesamten Welt der Comics“ – heißt es in einem Flyer, den es zum besseren Verständnis der Reihe gibt. Anläßlich des Erscheinens des Bandes „Tränen und Nebel“, habe ich einen Experten um seine Erläuterungen gebeten. Filik Kolek (unter anderem Pressereferent von Reprodukt) kennt jeden Band in- und auswändig und hat sich meinen Fragen gestellt. Donjon: Ob Monster, Antipoden oder Morgengrauen. 
Szene aus dem aktuellen Album:
„Tränen und Nebel“.
©2023 Reprodukt für die deutsche Ausgabe
Lieber Filip, soeben ist ein neuer Band aus dem Donjon-Universum erschienen: „Tränen und Nebel“. Man kann da schnell den Überblick verlieren, bei den vielen Alben, die es mittlerweile gibt. Du hast alle gelesen. Aber: Versteht man das einzelne Album auch, wenn man die anderen nicht kennt?

„Tränen und Nebel“ ist der offiziell neunte Band der Hauptreihe bzw. Donjon Zenit, mit der vor über 20 Jahren der ganze Donjon-Spaß begann. Und gleichzeitig ist es der fünfte, vom französischen Zeichner Boulet gestaltete Band – die ersten vier wurden noch von Lewis Trondheim selbst gezeichnet. Natürlich bilden alle neun Zenit-Bände eine größere, zusammenhängende Geschichte, aber ich würde sagen, dass die Boulet-Bände einen Handlungsbogen bilden, der sich von den früheren Trondheim-Kapiteln abheben (zwischen Band 4 und 5 lagen damals auch mehrere Jahre). Aber um auf deine Frage zurückzukommen – man sollte am besten die vorherigen Bände kennen, sonst könnte man sich ein bisschen in dem Wust aus Nebenplots und -figuren verlieren. Zumindest sollte man die Boulet-Bände zu Hause stehen haben, weil die alle aus einem Guss sind und ganz offensichtlich auf einen größeren narrativen Höhepunkt zusteuern. 

Das Cover des aktuellen Donjon-Titels.
©2023 Reprodukt für die deutsche Ausgabe
Es geht wieder mal um Monster und Zeremonien. Um ein Baby und seine Eltern, um Flucht und Kerker… Kannst Du die Geschichte kurz zusammenfassen?
Bevor man sich in den neuen Band vertieft, kann es nicht schaden, wenn man auch einige (alle?) Bände der „Abenddämmerung“-Reihe hat (also der Donjon-Bände mit der Nummerierung 101 und höher). Und die „Monster“-Reihe, die auf den späteren Zeitebenen spielen (z.B. Donjon Monster : Die Armeen der Tiefe). In der Zukunft der Donjon-Welt ist Herbert ja der Sauron-mäßige Fantasy-Tyrann „Der Große Khan“, seine Kinder werden erwachsen und sind alle durch und durch verdorben oder zumindest ziemliche Früchtchen. Auf der Zenith-Zeitebene sind Herbert und seine Frau Isis (eine Katzenprinzessin von einem Skythen-ähnlichen Nomadenvolk) Ausgestoßene ohne Heimat und Isis noch dazu hochschwanger. Als Leser*innen denken wir, dass wir wissen, was als nächstes passieren wird – die Geburt des künftigen Prinzen Papsukal – schließlich ist die Zukunft unserer Protagonisten ja von Trondheim und Sfar vorherbestimmt. Mit dieser Erwartungshaltung bei den Leser*innen spielen die beiden aber und führen uns kräftig (und bösartig) in die Irre. 
 
Im Grunde erzählen sie die Geschichte einer Multikultur-Ehe, von religiösen und kulturellen Dogmen, der Suche nach Identität, wenn man mit Traditionen und Familie bricht. Isis, wie gesagt hochschwanger, beschließt ihr Kind nach der Geburt einer krosakischen Taufe zu unterziehen. Nur: die Terra Amata ist eine raue Welt – nicht alle Säuglinge überleben. Herbert macht sich daher mit dem Neugeborenen aus dem Staub und hat seine bessere Hälfte und ihre Jäger auf den Fersen.
Szene aus Donjon Monster 13
©2023 Reprodukt für die deutsche Ausgabe
Alles ein absurder Spaß? Oder steckt mehr hinter dem Donjon-Universum?

Donjon ist eine ziemliche Wundertüte. Je nach Zeitebene und kreativem Team kriegt man mal makabren Spaß und mal hintersinnige, allegorische Fantasy. In der deutschen Comic-Szene gibt es bei den Zeichner*innen nicht viele Überschneidungen zwischen politischen/autobiografischen Stoffen und Fantasy/SciFi. Diese Berührungsängste haben die Franzosen und Belgier nicht. Hier dürfen sich Zeichner*innen austoben, die zur Creme de la Creme der frankobelgischen Comic-Welt gehören. Bei uns sind sie eher als Graphic-Novel-Autor*innen bekannt. Guy Delisle etwa oder David B., Kilofer, Christophe Blain und viele andere. Sie sich hier austoben und die krudesten Metzeleien und wildeste Fantasy-Action zu Papier bringen. 

Eine Szene aus Donjon Zenit 08.
©2022 Reprodukt für die deutsche Ausgabe
Innerhalb der Reihe gibt es verschiedene Zeiteinheiten, zu denen immer wieder neue Alben veröffentlicht werden. Wie unterscheiden die sich inhaltlich?
Es gibt drei Zeitebenen, die alle drei mehr oder weniger innerhalb der Lebensspannen der Hauptfiguren liegen: Donjon: Morgengrauen (ab Band -99), Donjon Zenit (Band 1) und Donjon Abenddämmerung (ab Band 101). Die „Abenddämmerung“-Bände wurden eingangs von Joann Sfar gezeichnet und haben die Sfar-typischen unbändigen Plotsprünge, irre Ideen und ein leicht surreales, apokalyptisches World-Building. Aktuell gibt es neun „Abenddämmerung“-Bände. Die „Morgendämmerung“-Reihe erzählt die Vorgeschichte des Donjons, folgt den Abenteuern des jungen Wärters (Hyazinth de Cavallère) und ist eine Mischung aus Crime Noir und Mantel-und-Degen-Abenteuer. Und dann gibt es die bislang längste Donjon-Reihe: „Monster“. Sie besteht aus Einzelabenteuern, die alle einem anderen Zeichner in Szene gesetzt werden. Sie springen kreuz und quer auf der Donjon-Zeitachse und greifen all die verschiedenen losen Erzählfäden der Hauptreihen auf und bauen die Nebenfiguren aus. 
 
2015 wurde Donjon von Trondheim und Sfar für beendet erklärt – nur um ein paar Jahre später für untot und quicklebendig erklärt zu werden. Zum Neustart 2020 führten sie zwei neue Reihen ein, die auf Level -10.000 und +10.000 spielen. Die Vorvorvor…geschichte der Donjon ist eine herrliche Persiflage auf Tolkien mit Orks und Elfen (und scheint ganz Prequel-like erklären zu wollen, was keiner Erklärung bedarf: Warum die Welt von „Donjon“ von vermenschlichten Tieren bevölkert wird). Und die +10.000-Zeitlinie ist eine SciFi-Reihe mit Riesenrobotern und Todeslasern mit ein bisschen Indiana-Jones-Pulp.
Cover aus der Antipoden-Reihe.
@2023 Reprodukt für die deutsche Ausgabe
Hinter dem Projekt stecken prominente Namen: Joann Sfar, Lewis Trondheim etwa. Autoren des französischen Verlags L’Association. Aber auch viele andere Zeichner stecken dahinter. Ist das mittlerweile fast eine Auszeichnung, wenn man ein Donjon-Album machen darf?

Vor allem die „Monster“-Reihe ist eine Spielwiese für die französische Independent-Szene. Jeder Band ist von einem anderen Zeichner, in komplett unterschiedlichen grafischen Stilen, Typographie, Kolorierung, etc. Das Besondere ist auch, dass Trondheim und Sfar, die alle Donjon-Alben zusammen texten, jedes der Donjon Monster von der Atmosphäre, dem Humor und dem Plot her speziell den jeweiligen Zeichner*innen auf den Leib und Zeichenstil schreiben. 

Was für sensationelle Zeichnungen…
©2023 Reprodukt für die deutsche Ausgabe
Ist eigentlich abzusehen, wieviele Alben es in der Reihe geben wird? Wo wird uns die Reise hinführen?

Lewis Trondheim und Joann Sfar sind die zwei wohl produktivsten Künstler Frankreichs. Jeder hat an die 200 Publikationen in der Vita. Vor allem Sfar ist ein erratischer kreativer Kopf, der unzählige Reihen zeitgleich textet und zeichnet, beendet und abbricht und nach Jahren wieder aufgreift. Ich denke mal, so lange Trondheim und Sfar sich in ihrer Donjon-Welt künstlerisch austoben können und sich selbst nicht langweilen oder wiederholen, wird es neue Alben geben – schließlich haben sie ja ein Fantasy-Epos geschaffen, in dem über 10.000 potentielle Geschichten stecken … 

Wir sind gespannt, wie es weitergeht. Ganz herzlichen Dank lieber Filip.
Nochmal mit nem blauen Auge davon gekommen…
©2023 Reprodukt für die deutsche Ausgabe
Angaben zum Comic: Donjon. Tränen und Nebel. Text: Joann Sfar und Lewis Trondheim. Zeichnungen: Boulet. Farben: Walter. SC, farbig. 48 Seiten. Verlag Reprodukt. 13,-€

Hier gehts zum Verlag: Reprodukt

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