Metamorphosen – das Frühwerk des François Schuiten

Er ist der Architekt unter den Comiczeichnern. François Schuiten, der Zeichner der Reihe Die Geheimnisvollen Städte. Für seine aufwändigen Arbeiten benötigt er mitunter Jahre. Auch deshalb hat der 66-jährige vor einiger Zeit angekündigt, dem Comicbusiness den Rücken zuzukehren. Gut möglich, dass der Ausnahmekünstler keine neuen Comics mehr veröffentlicht. Umso besser also, dass der Verlag Schreiber & Leser jetzt auch die ersten Alben des Belgiers neu veröffentlicht. Arbeiten, die schon zum Start der Karriere eine außerordentlich hohe zeichnerische Qualität aufwiesen. Die Mediane von Zymbiola (1980), das acht-teilige Port-Folio Express (1981) und Das Gleis (1982) – drei Werke, in einer Gesamtausgabe veröffentlicht unter dem Titel Metamorphosen – das Frühwerk des François Schuiten.

Titelbild der Geschichte „Das Gleis“. © 2022 Verlag Schreiber & Leser

Comicfans wissen, es ist vor allem sein Freund Benoît Peeters, mit dem Schuiten in den vergangenen Jahrzehnten Bücher veröffentlicht hat. Der Autor, Szenarist und Hergé-Biograf lieferte die Grundlagen für den Zyklus der Geheimnisvollen Städte und wird oft in einem Atemzug mit dem belgischen Zeichner genannt.

Geheimnisvoll schon vor den Geheimnisvollen Städten

Die vorliegende Veröffentlichung aber zeigt die frühen Arbeiten Schuitens. Comics, die er ohne Peeters gezeichnet hat – und die seinerzeit auf deutsch in der Graphic Arts Reihe von Arboris veröffentlicht wurden. Allerdings geht es hier auch nicht um die ebenfalls früh entstandenen Comics mit seinem Bruder Luc (Die Hohle Erde und Carapaces). Wir reden hier von der Zusammenarbeit mit seinem Professor an der Hochschule Saint Luc in Brüssel: dem vor drei Jahren verstorbenen Claude Renard.

Cover von Metamorphosen
© 2022 Verlag Schreiber & Leser

Im französischen Original wurde die Gesamtausgabe dieser Arbeiten bereits 2008 veröffentlicht. Schuiten und Renard haben zu allen drei Geschichten kurze Vorworte verfasst, die nun auch auf deutsch vorliegen. Und die einen Einblick geben in ihre Entstehungsgeschichte und den Kontext.

Werk liegt originalgetreu vor

Offenbar wurden für die Neuveröffentlichung die Originalseiten überarbeitet. „Unsauberkeiten“ wurden entfernt, Farben verbessert, wie Renard schreibt. „Nach 20 Jahren und vielen Auflagen des Werks ist die Wiedergabe nun endlich originalgetreu“ heißt es da.

Im Anhang finden sich umfangreiche Skizzen und auch Fotos.
© 2022 Verlag Schreiber & Leser

Weil die deutsche Ausgabe erst jetzt erscheint, sind inzwischen noch einmal 14 Jahre vergangen. Und so liefert der vorliegende Band eine kleine Zeitreise, die auch viel über die Entwicklung der damaligen Comic-Szene aussagt.

Das Neue: Port-Folio

Das Port-Folio Express etwa. Eine Reihe von acht Blättern, die zusammenhängend eine kleine Geschichte erzählen. Die vor allem dem Wunsch der Zeit Rechnung tragen, nach etwas Besonderem. Schuiten schreibt im Begleittext: „Sie (Didier und Daniel Pasamonik mit ihrem Label Magic Strip) regten uns an zu einem Portfolio, einer Kunstform, die bis dahin fast unbekannt war. Wir waren sofort begeistert und stürzten uns ins Abenteuer.“

Seite aus Die Mediane von Zymbiola.
© 2022 Verlag Schreiber & Leser

Aus heutiger Sicht bewiesen die Pasamonik-Brüder damals große Weitsicht. Denn bis dahin hatte Schuiten ja nur ein paar wenige Comics aufzuweisen. Wenngleich er bereits mit 16 Jahren im Mai 1973 seine erste Geschichte in der belgischen Pilote veröffentlichte. Mutation – eine fünfseitige Horrorstory.

Weitsicht und Kultstatus

Der erste Band der Geheimnisvollen Städte sollte ja erst 1983 veröffentlicht werden. Und welchen Kultstatus diese bekommen sollten, konnte man ohnehin nicht erahnen. Ganz zu schweigen davon , dass bis heute zehn Bände in der Reihe erscheinen würden.

Geheimnisvoll – es ist geheimnisvoll…
© 2022 Verlag Schreiber & Leser

Die Geschichten sind geheimnisvoll – wie die späteren Arbeiten auch. Ein Feuerwerk an Grafik und Ideen. Es sind Arbeiten zweier kreativer Köpfe, die sich ausprobieren wollten – und auch durften. Und an denen man erkennen kann, dass Schuiten schon früh seinen eigenen Stil entwickelt hatte. Und sogar, dass sich bestimmte Motive (Züge etwa) fast durchgehend durch sein Werk ziehen.

Metamorphosen – das Frühwerk des François Schuiten

Der Verlag schreibt auf dem Klappentext: „Futuristische Fahrzeuge in einer Steampunk-Welt mit phantastischer Architektur plus eine vielschichtige Story – alle wesentlichen Elemente der Geheimnisvollen Städte sind in diesem Frühwerk schon vorhanden. Der Ikarus-Mythos wird mit der Meeresschnecke Cymbiola imperialis verknüpft, ein Top-Manager wird buchstäblich aufs Abstellgleis geschoben, und in den Geschichten verschachtelt spielen ganz andere Geschichten…“

Das Gleis – spielt auch im All.
© 2022 Verlag Schreiber & Leser

Metamorphosen ist ein Album für Comic-Kenner und Comic-Genießer. Denn nebenbei liest man die Geschichten nicht. Es lohnt sich aber, die filigranen Zeichnungen immer und immer wieder zu betrachten. Und einzutauchen in den gemeinsamen Traum, den François Schuiten und Claude Renard auch gemeinsam zu Papier brachten.

Ungewöhnliche Arbeitsweise

Rückblickend schreibt Schuiten: „(Wir beschlossen), die Geschichte mit Bleistift zu zeichnen, damit wir die Panels gegenseitig überarbeiten konnten. Die Blätter gingen also ständig hin und her. Es war eine unbeschwerte Zeit und die Nächte, in denen wir zeichneten waren lang. Wir genossen die Freiheiten eines so ungewöhnlichen Verfahrens, wir waren uns nah und wir brannten für die Kunst.“ Schön, dass man das als Leser jetzt nochmal nachempfinden kann.

4 von 5 Comic-Denkblasen

Angaben zum Buch: Matamorphosen. Text und Zeichnungen: François Schuiten und Claude Renard. Hardcover, farbig. 174 Seiten. Verlag: Schreiber & Leser. 34,80€

Hier gehts zum Verlag: https://www.schreiberundleser.de/

Über Schuitens jüngstes Werk – eine Blake & Mortimer-Arbeit habe ich bereits hier geschrieben: https://comic-denkblase.de/kongenial-der-letzte-pharao

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