Horror im Comic

Er hat es schon wieder getan. Comic-Denkblasen-Dauergast Alexander Braun hat erneut ein Standardwerk der Sekundärliteratur zum Comic vorgelegt. Mit seinem Katalog „Horror im Comic“ und der Ausstellung im Schauraum Comic + Cartoon in Dortmund zeigt er, welchen Einfluss dieses Genre auf die Entwicklung der Neunten Kunst hatte. Eine Fülle an Abbildungen macht das Blättern im Buch zu einem Genuss. Die kunsthistorisch fundierte Einordnung liefert unendlich viele Fakten. Die Frage ist nur: Wie Alexander das alles immer wieder schafft? Seine Antwort darauf (und noch viel mehr) hat er mir per E-mail zugeschickt. Und wer die Ausstellung noch nicht besucht hat: Bis zum 18. August 2022 ist „Horror im Comic“ in Dortmund noch zu sehen. 

Braun ist Comic-Experte und Kunsthistoriker – ein Glücksfall. ©2022 Alexander Braun
(Alex Jakubowski) Lieber Alexander, erst einmal Glückwunsch zur Ausstellung und zum Katalog. Du hast Dich dafür sehr intensiv mit dem Horror-Genre allgemein beschäftigt. Was glaubst Du, fasziniert so viele Menschen eigentlich daran?

(Alexander Braun) Ich denke, der Reiz liegt in der Ambivalenz, etwas anschauen zu können, das wir eigentlich nicht real in unserem Leben haben wollen. Wir wissen, dass es diese Abgründe gibt und dass sie vermutlich tendenziell in jedem von uns schlummern. Sich in Form einer künstlerischen Darstellung damit auseinandersetzen zu können, erlaubt es, das Gefühl von Angst und Terror zuzulassen, dabei aber gleichzeitig vollständig auf der sicheren Seite zu sein. Warum gaffen die Menschen bei Autounfällen? Sie sind geschockt von dem Grauen eines schweren Unfalls, etwa auf der Autobahn. Sie möchten dergleichen niemals selbst erleben müssen, schauen aber dennoch bei anderen exzessiv hin. Warum? Weil sie es von einer sicheren Warte aus tun können. Vielleicht brauchen wir diese künstliche Imagination von Horror in Film und Comic, damit wir nicht vollständig verlernen, dass es das da draußen gibt.

Ausstellungsplakat „Horror im Comic“ – Das Buchcover hat dasgleiche Motiv. ©2022 Alexander Braun
Welchen Einfluss hatte der Horror-Comic auf die Entwicklung des Comics insgesamt?

Wenn wir zu den Anfängen des Horror-Comics in den frühen 1950ern zurückgehen, also zum EC-Verlag, dann müssen wir konstatieren, dass diese Geschichten zum ersten Mal etwas »Erwachsenes« im Comic-Heft repräsentierten. Superhelden-Comics waren damals doch recht infantil. Damit meine ich nicht, die Darstellung von Grausamkeiten oder abgetrennten Köpfen, sondern die gesellschaftliche, besser: gesellschaftskritische Komponente, die sich dahinter verbarg. EC sprach von Rassismus, vom Ku-Klux-Klan, von Kindesmissbrauch in den Familien, von der Gewaltbereitschaft der Rechten und der Bigotterie der Hinterwäldler und Moralisten – und das zu einer Zeit, als Senator McCarthy Jagd auf Kommunisten und Schwule machte. Das waren Geschichten in der Tradition alter Moritaten, hoch moralisch und fest auf den Grundsätzen der amerikanischen Verfassung stehend: alle Menschen sind gleich und frei, auch Schwarze, Mexikaner oder Juden. Das konnte nicht jedem gefallen, und wir müssen unterstellen, dass der Krieg der Konservativen gegen die Horror-Comics nicht nur wegen des Jugendschutzes betrieben wurde. EC und seine Comic-Hefte waren Störenfriede.

Gruselig… ©2022 Alexander Braun
Wie hat sich die Bedeutung des Horror-Comics in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt? In den 1950er Jahren hatten sie ja einen Anteil von fast einem Viertel aller veröffentlichten Comics.

Na ja, der Selbstzensurcode, der 1954 verabschiedet wurde, in Folge der Senats-Anhörungen zum Thema Horror-Comics, kam einem Kahlschlag gleich. Es wurden ja nicht nur Horror und Crime verboten, sondern gleich alles, was gesellschaftlich relevant sein könnte: Sexualität, Politik, Kirche, Scheidungen … alle diese Themen waren für Comics fortan tabu. So kann sich eine Kunstform nicht selbstbewusst entwickeln. Es gab nur noch aseptische Superhelden und Tiere à la Disney.

Auch das Seitenlayout besorgt der Autor selbst. ©2022 Alexander Braun
Wann kam der Horror dann wieder zurück?

Anfang der 1970er. Die allgemeine Liberalisierung der Gesellschaft nach 1968 brachte den Zensur-Code ins Schlingern. Das war einfach nicht mehr zeitgemäß und die Underground-Comix mit ihren alternativen Vertriebsschienen haben sich ohnehin nicht um den Code geschert. Er wurde schlichtweg von allen Seiten ausgehöhlt und bevor er ganz obsolet werden würde, hat die Industrie ihn 1972 abgeschwächt. Als Folge stiegen Marvel und DC explizit in Horror ein, aber eher in das klassische Programm: Dracula, Frankenstein, Werwolf… alle waren sie wieder da.

Dabei dürfen wir die Magazine des Warren Verlags nicht vergessen: Creepy, Eerie und Vampirella. Das war quasi die Brücke von den frühen 1960ern bis in die 1970er. Dadurch, dass Warren »Magazine« herausgab, keine Comic-Hefte, und seine Publikationen an erwachsene Leser adressiert waren, umging er den Code.

So mache Klassiker finden sich im Katalog. ©2022 Alexander Braun
Horror-Elemente traten sogar in Comics auf, in denen man sie nicht vermuten würde. Bei Carl Barks zum Beispiel, somit bei Disney und ausdrücklich in einem Kindercomic.

Das stimmt. Das sind aber eher Exoten. Einer der frühesten Comic-Zombies ist 1949 in Barks Donald Duck Geschichte Voodoo Hoodoo zu finden. Verblüffend, dass das durchging. Barks hatte alte Schwarzweiß-Filme gesehen, in denen sehr moderat zombifizierte Figuren als Arbeitssklaven auftraten. Das hatte ihn inspiriert zu seinem Bombie the Zombie. Das ist das Tolle bei Barks. Der hatte den Kids wirklich was zu bieten. Coole Überraschungen und tolles Storytelling ohnehin. Wir haben sogar Fix und Foxi in der Ausstellung – unheimliche Geister von 1961!

Originale, Originale, Originale… ©2022 Alexander Braun
Immer wieder stellt sich mir die Frage: Wie kommst Du an all die Originale, die in Deinen Ausstellungen ausgestellt und in Deinen Büchern abgebildet sind?

Die stammen aus meiner eigenen Sammlung oder sind Leihgaben aus dem Netzwerk zu anderen Sammlern. Das ist nicht so wahnsinnig kompliziert, wenn man das lange genug macht, viele Kollegen kennt, weiß, wer was haben könnte, und dass diese einem ihre Schätze anvertrauen, weil sie wissen, dass ich sie mit der gleichen Fürsorge behandle, wie meine eigenen. Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Aber es ist kein Wunschkonzert. Von manchen Künstlern, von denen man gerne etwas zeigen würde, gibt es nichts, andere sitzen auf ihren Originalen und verleihen nichts. Japan ist in der Regel außerordentlich schwierig. Im Manga-Bereich wird es da wirklich kompliziert, da muss man oft passen.

15 Kapitel hat der Katalog insgesamt. ©2022 Alexander Braun
Wie lange dauert der Prozess des Organisierens?

Nach der Ausstellung ist vor der Ausstellung (Buch eingeschlossen)! (lacht) Nein, im Ernst. Bei eineinhalb bis zwei Ausstellungen im Jahr ist das schon ein ziemliches Pensum. Corona hat bei der Will-Eisner-Retrospektive letztes Jahr geholfen und bei Horror jetzt auch, weil wir durch die Lock-Downs das Ausstellungsprogramm gestreckt haben. Für beides habe ich jeweils ein bisschen weniger als ein Jahr Zeit gehabt. Grundsätzlich geht das aber auch mit einem halben Jahr Vorlauf. Dann wird das Buch aber nicht so dick.

Also mich gruselts schon… ©2022 Alexander Braun
Das kann man wirklich schaffen? Das Horror-Buch hat 456 Seiten! Alle stramm mit Text und Abbildungen gefüllt. Dazu zum Teil umfangreiche Recherchen. Das hast Du doch nicht alles im Kopf parat?

Ja und nein. Nein, das habe ich nicht alles im Kopf parat. Aber, ja, man kann das schaffen, weil man ja nicht komplett bei Null anfängt. Über die Jahre sammelt sich auch Vieles an, das dann nur abgerufen werden muss.

Am Ende, wie immer die Frage nach Deinem nächsten Projekt?

… und wie immer, dieselbe Antwort: Lass Dich überraschen! (lacht)

Die nächste Ausstellung im schauraum in Dortmund wird im November eröffnet und, so uns die Lieferketten für Druckpapier nicht vollends im Stich lassen, erscheint auch zeitgleich wieder ein Buch zum Thema. Ich kann soviel verraten: Es geht in die Frühzeit des Comics und wir können eine Reihe von neuen Erkenntnissen präsentieren, die einige Korrekturen nach sich ziehen werden. Ich recherchiere dazu – zusammen mit einem Kollegen aus Norddeutschland – bereits seit einigen Jahren und es ist die eine oder andere Überraschung zutage getreten. Wir leiden in Sachen Comic-Historie leider immer noch an schlechter Quellenkenntnis. Es wird zu viel Falsches immer wieder voneinander abgeschrieben. Für einen bestimmten Künstler nehmen wir da jetzt mal eine ordentliche Revision vor, die auch für amerikanische Kollegen neu sein dürfte. Alles äußerst spannend. Ich freue mich sehr drauf. 120 Seiten sind schon fertig!

Ich bin gespannt. Alles Gute dafür.

 

Der Katalog in seiner ganzen Pracht. ©2022 Alexander Braun
Informationen zum Katalog: Horror im Comic. Autor: Alexander Braun. Hardcover, in Farbe. 456 Seiten. Avant-Verlag. 49,-€

Hier gehts zur Seite des Schauraum Comic + Cartoon: 

https://www.dortmund.de/de/freizeit_und_kultur/museen/schauraum_comic_cartoon/startseite_schauraum/

Mehr Comic-Denkblasen-Beiträge über Projekte von Alexander Braun gibt es hier:

https://comic-denkblase.de/herzliche-gratulation-erneut-ein-eisner-award-fuer-alexander-braun

hier: https://comic-denkblase.de/george-herrimans-krazy-kat-neues-buch-von-alexander-braun

oder auch hier: https://comic-denkblase.de/will-eisner-vater-der-graphic-novel

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