Die Erinnerung an die eigene Jugend: Zeichner Sean Chuang hat seine in den 1980er Jahren in Taiwan verbracht. Auf einer Insel, die irgendwie zwischen Kommunismus und Kapitalismus, irgendwie auch zwischen Ost und West lag. Auf jeden Fall aber auf einer Insel, die eine Gesellschaft im Umbruch erlebte. In verschiedenen Episoden beschreibt Chuang Alltagserlebnisse, die ihn als Jugendlichen beeindruckt haben. Sein Buch Meine 80er Jahre ist auf deutsch bereits 2015 erschienen. Zum Comicfestival in München hatte ich nun Gelegenheit, den taiwanischen Autoren zu treffen.
Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Jugend in den 80ern in Taiwan nicht großartig von einer Jugend in der BRD. Ob Baseball dort oder Fussball hier, ob der Wunsch nach einem Superroboter oder auch der Kampf in der Schule: Es lassen sich viele Parallelen finden, die das Leben von Heranwachsenden in beiden Ländern kennzeichnen. „Ich habe schon mit einem Italiener und auch mit einem Franzosen darüber gesprochen“, meint Sean Chuang, „und beide haben mir ähnliche Eindrücke geschildert.“ Aber natürlich beschreibt der Autor auch die Besonderheiten des Systems – etwa der fünf Milllimeter kurze Haarschnitt der Jungen in der Mittelschule.
Breakdance, Bruce Lee und Bürstenhaarschnitt
Chuang erzählt keine zusammenhängende Geschichte. In seinen Epsioden geht es um (un-)erfüllte Kindheitswünsche, um Probleme in der Schule, um Breakdance, Bruce Lee-Filme oder auch um den von oben verordneten Bürstenhaarschnitt. „Beim Schreiben des Comics habe ich mir vorgenommen, Geschichten zu erzählen, die von mir persönlich erlebt wurden. Natürlich kann ich nicht eine komplette Geschichte der 80er Jahre verfassen. Ich habe einfach die Geschichten ausgesucht, die mir symptomatisch für meine Zeit damals erschienen“, erklärt Chuang.
„Natürlich ist der zeitliche Abstand sehr groß zwischen meinen Erinnerungen und dem Erlebten. Deshalb habe ist erst einmal den Text geschrieben. Danach habe ich natürlich auch recherchiert, wie es es damals war. Erst dann habe ich angefangen, das Ganze in Bilder zu fassen“ so Chuang.
In einer Mischung aus realistischem Stil und karikaturenhafter Überzeichnung liefert der Künstler nicht nur Einblicke in eine bestimmte Zeit. Er lässt auch in das Seelenleben eines Heranwachsenden blicken. Er zeigt Ängste und Nöte genauso wie Begeisterung und Freude. Es ist ein sehr persönliches Buch, das bewusst keine politische Botschaft verfolgt. Auch wenn man das als Europäer vielleicht unterstellen mag.
Persönlich, nicht politisch
„In den 1980er Jahren haben meine Eltern mit mir nie über Politik gesprochen“, erläutert Chuang. „Deswegen kann das Buch zwangsläufig auch keine politischen Themen aufgreifen. Ich habe ja versucht aus der Perspektive eines Kindes zu schreiben.“
Allerdings gibt es durchaus einen politischen Hintergrund, der erklärt, warum im Hause Chuang damals Politik keine Rolle spielte. „Ein Verwandter von uns wurde von der Regierung festgenommen, als Reaktion der Regierung auf jegliche Form der Kritik,“ erläutert Chuang. Grund genug, dieses Thema bei den Gesprächen mit dem heranwachsenden Sean zu vermeiden.
Generationenübergreifendes Interesse
Sein Buch kommt dennoch gut an. Nicht nur bei Lesern seiner Generation, auch bei deren Kinder. „Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass mein Buch für Gleichaltrige interessant sein könnte. Was ich nicht erwartet habe war, dass Kinder den Comic lesen. Aber die wollten einfach wissen, was ihre Eltern damals erlebt haben“, so Chuang.
Zur Zeit arbeitet Chuang übrigens an der Adaption eines Romans („Der Zauberer auf der Brücke“), den der taiwanische Schriftsteller Ming-Yi Wu geschrieben hat.
„Das Thema ist ein Einkaufsviertel, eine Shoppingmall im Zentrum von Taipeh in der Nähe vom Bahnhof“ erklärt Chuang, für den sich mit der neuen Arbeit ein Kreis schließt. Denn wie in Chuangs Comic erzählt Schriftsteller Wu in seinem Roman episodenhaft Begebenheiten aus den 80er Jahren. Und wie es der Zufall will hat Chuang diese Mall in seinem Comic Meine 80er Jahre bereits selbst gezeichnet.