Guantanamo Kid: Eine wahre Geschichte – Interview mit Jérôme Tubiana und Alexandre Franc

Es ist minderjährig, keine 14 Jahre alt – und wird doch als mutmaßlicher Terrorist inhaftiert. Acht Jahre Gefängnis – schlimmer: acht Jahre Guantanamo, was für ein Horror. Die Geschichte von Mohammed el Gharani ist schockierend. Ein Kind, das sich aufmacht, um in Pakistan Englisch und Informatik zu lernen, wird kurz nach dem 11. September 2001 in die amerikanische Militärbasis auf Kuba gesteckt. Warum er dort landet, was er dort erlebt und wie er Guantanamo verlässt, beschreibt der Comic Gunatanamo Kid. Der Journalist Jérôme Tubiana hat Mohammeds Geschichte aufgeschrieben und gemeinsam mit dem Zeichner Alexandre Franc zu einer Graphic Novel gemacht. In bewusst reduziertem Strich zeichnen die beiden ein Bild, das die furchtbaren Erlebnisse Mohammeds auf eine sehr leise Weise beschreibt. Beim Comic-Festival in München hatte ich die Gelegenheit, Autor und Zeichner zum Interview zu treffen.

Mohammed in seiner Zelle, Seite 63. ©Dargaud 2018

(Alex Jakubowski) Nach der Lektüre Eurer Arbeit war ich ziemlich beeindruckt. Nicht nur wegen der absurden und ziemlich krassen Geschichte. Vor allem, weil Ihr geschafft habt, den Horror des Gefängnisses zu vermitteln, ohne in brutal darzustellen. War Euch das von Anfang an klar, dass es eine eher zurückhaltende Darstellung werden soll oder sogar muss?

(Alexandre Franc) Das ist in der Tat eine Frage, über die wir am Anfang viel diskutiert haben. Vermutlich hat die Antwort darauf letztlich auch den Ausschlag gegeben, dass wir das Buch gemeinsam gemacht haben.

(Jérôme Tubiana) Seine Geschichte selbst hat uns eigentlich vorgegeben, dass wir es so machen müssen. Es ging Mohammed nicht so sehr um die Augenblicke der Folter und Unterdrückung, sondern um die Momente, in denen es einen kleinen Hoffnungsschimmer gab. Er hat ja ständig kämpfen müssen. Gegen die Wärter, das System im Gefängnis. Er wollte deshalb die Lächerlichkeit dieses fast kafkaesken Systems deutlich machen, indem er Humor, Ironie und Sarkasmus benutzt. Als er mir seine Geschichte erzählt hat, hat er mehr Zeit darauf verwendet, die hoffnungsfrohen Momente zu schildern. Vor allem deshalb wollten wir keinen realistischen Stil anwenden.

(AF) Ich kannte Jérôme vorher nicht, ich kannte nur die Verlegerin. Sie hat mich gefragt, ob ich die Geschichte zeichnen mag. Soweit ich weiß wurden vor mir ein paar andere Zeichner angesprochen, die auch schon Probeseiten gemacht hatten. Allerdings waren die in einem realistischeren und dramatischeren Stil gemacht. So wäre das ein total anderes Buch geworden. Als die Verlegerin mich fragte, wusste sie, dass ich es in einer anderen Art erzählen würde. Ich kann gar nicht anders, als es in diesem Stil zu machen. In der Geschichte steckt ungeheuer viel Energie und Kraft, und es gelingt uns so Mohammeds Charakter einzufangen.

Alltag auf Guantanamo, Seite 48 ©Dargaud 2018

(AJ) Wie seid ihr bei der Umsetzung der Geschichte vorgegangen? 

(JT) Ich habe mich mit Mohammed getroffen und mir seine Geschichte erzählen lassen, Daraus habe ich ja auch schon einige Berichte in Zeitungen und Magazinen geschrieben. Insofern haben wir uns auf seine Schilderungen gestützt, die wir natürlich nachrecherchiert haben. Schwierig war es für mich als Journalist vor allem, Mohammed dazu zu bringen, auszudrücken was er denkt. Die Menschen mit denen ich es normalerweise zu tun habe, sind sehr gute Geschichtenerzähler, aber nicht notwendigerweise gute Psychoanalytiker. So auch hier.

(AF) Ich habe mich vor allem auf das bezogen, was Jérôme mir gegeben hat und dann habe ich im Internet recherchiert. Zu allererst mussten wir gemeinsam sicherstellen, dass wir den Ort richtig darstellen. So hatte ich zwar ein Foto von einer dieser im Comic gezeigten Hallen, aber ich bin ein Designer, ich war mehr daran interessiert, ein schönes Bild zu zeichnen. Schöner als in der Realität oder als es die Geschichte vorgibt. 

Zum Beispiel bei der Darstellung eines Gefängnisteils, den man Psychoblock nennt. Wir hatten davon kein Foto, also habe ich in einer Szene den Psychoblock vor einem bestimmten Hintergrund gezeichnet. Aber dann haben Mohammed und Jérôme gesagt, dass das so nicht aussieht. Schließlich haben wir ein anderes Foto gefunden und ich habe es geändert.

(AJ) Wie sehr war Mohammed einbezogen in den Entstehungsprozess der Graphic Novel?

(JT) Mohammed hat komplett mitgearbeitet.  Alexandre hatte die Freiheit, den Rhythmus und die Geschwindigkeit der Geschichte zu bestimmen. Als Journalist kann ich das nicht so gut. Als wir etwa in der Mitte der Geschichte waren, habe ich Mohammed getroffen und ihm die Arbeit gezeigt. Er hat dann alles durgesehen und korrigiert. Wir hatten eine Ampel: rot, gelb, grün: Was ist falsch, was geht so durch, was ist korrekt? Manchmal hat er Texte korrigiert, manchmal die Grafik. Aber es war insgesamt nicht viel zu ändern.

(AF) Ich habe Jérôme so ca. alle zehn Seiten gezeigt. Wir hatten kein komplettes Storyboard, so dass ich große Freiheiten hatte, wie ich die Geschichte grafisch anlege. 

Mohammed bei einem der vielen Verhöre, S. 48 ©Dargaud 2018

(AJ) Wie hat Mohammed reagiert, als er Euer Ergebnis gesehen hat?

(JT) Es sah so aus, als ob er sehr glücklich sei. Er war auch schon glücklich, als meine Reportagen gedruckt wurden. Er ist immer glücklich, wenn seine Geschichte gehört wird. Aber es war für ihn schon ungewöhnlich, dass seine Geschichte in einem Buch veröffentlicht wurde und dann noch in der Form einer Graphic Novel. Das war neu für ihn. Es ist eine völlig andere Welt, die er aber sehr schnell begriffen hat. Noch glücklicher war er allerdings damit, wie das Buch in der Öffentlichkeit aufgenommen wurde. Als die französische Ausgabe im vergangenen Jahr herausgekommen ist, wurde sie auch Präsident Macron gezeigt. Als Mohammed das Foto sag, sagte er: „Wow, das ist großartig.“

(AJ) Vielen Dank und viel Erfolg für Euer Buch.

Jérôme Tubiana (links) und Alexandre Franc.
Jérôme Tubiana (links) und Alexandre Franc (Foto: Alex Jakubowski)
Angaben zum Buch: Guantanamo Kid – Die wahre Geschichte des Mohammed el Gharani. Autor: Jérôme Tubiana, Zeichner: Alexandre Franc. Übersetzung aus dem Französischen: Ulrich Pröfrock. Carlsen Verlag, 172 Seiten, Hardcover. 20,-€

4 von 5 Comic-Denkblasen

2 Kommentare

  1. Eigentlich sollte dieser Comic zur Pflichtlektüre werden. Immerhin wird Guantanamo nicht, wie 8 Jahre lang versprochen, geschlossen, sondern dieses Jahr wurde sogar noch ein Deal über 800 Millionen US-Dollar an Siemens(Deutschland!) vergeben, um das Gefängnis „energieeffizienter“ zu machen. Wissen Sie, ob etwas von dem Erlös des Comics an Mohammed geht?

    1. Das weiss ich leider nicht, sorry. Aber in Sachen Pflichtlektüre: Carlsen bietet auf der Homepage an, Klassensätze zu bestellen. Herzlichen Dank für Deinen Kommentar!

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