Crowdfunding bei Reprodukt

Die Comic-Szene ist bislang recht glimpflich durch die Pandemie gekommen. Dank der Unterstützung durch die zahlreichen Fans. Ich hatte hier ja wiederholt über Corona und die Folgen für Verlage und Comicläden geschrieben. Hier etwa: https://comic-denkblase.de/buechersolidaritaet-stayathome-teil-2 Jetzt aber muss zumindest der Berliner Verlag Reprodukt die Reißleine ziehen. Wegen gestiegener Papier- und Energiepreise hat das Indie-Label jetzt eine Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen. Und wie sich zeigt: Auf die Fans ist erneut Verlass. Mein Email-Interview mit Verleger Dirk Rehm.

Die Reprodukt-Redaktion. ©Reprodukt
(Alex Jakubowski) Lieber Dirk, Crowdfunding im Comic-Bereich wird normalerweise von einzelnen Künstlern gemacht, die ihre eigenen Werke verlegen wollen. Vor ein paar Jahren hatte es mal ein etablierter Verlag versucht. Jetzt ihr. Warum?

(Dirk Rehm) Weil ich keine Alternative gesehen habe.  Und weil ich es sehr ermutigend fand, dass es einem Verlag wie Fantagraphics 2014 (aus gutem Grund) gelungen ist, über ein Crowdfunding ein Halbjahresprogramm zu finanzieren. Die Strukturen in denen wir arbeiten und die Bindung zu unseren Leser:innen sind denen von Fantagraphics sehr ähnlich. Auch wenn wir natürlich in den deutschsprachigen Ländern von einem sehr viel kleineren Zeichner:innen- und Lesepublikum sprechen. als im englischen Sprachraum. 

Ich glaube und hoffe, dass nach außen immer deutlich war, dass wir kein Konzernverlag sind und nicht vorrangig arbeiten, um Gewinne zu erzielen. Sondern dass wir mit dem erwirtschafteten Geld die nächsten neuen Comics finanzieren wollen. Weil wir eben Comics lieben und die Comic:zeichnerinnen und die Leser:innen und die gesamte Szene, in der wir arbeiten. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern international. Denn jedes Jahr treffen wir beispielsweise in Angoulême Zeichner:innen und Verleger:innen aus aller Welt. Oder auf Festivals und Messen in Bologna, Lucca, Barcelona, Helsinki, Lodz, San Diego, New York, Toronto – wo immer es die Gelegenheit gibt, sich mit Gleichgesinnten zu treffen und auszutauschen. 

Verleger Dirk Rehm. ©Mawil/Reprodukt
Wie groß war Eure Sorge, dass es nicht funktionieren könnte?

Die Sorge war vorhanden, auch wenn ich recht optimistisch war, dass es funktionieren würde. Denn wir haben bereits bei den ersten Anfragen nach Beiträgen eine große Solidarität unserer Künstler:innen erfahren. Unsere Comiczeichner:innen sind sowieso die besten!

Meine Sorge war eher: Was ist, wenn es nicht funktioniert? Wie machen wir dann weiter? Und trotz der Riesenfreude über das wahnsinnig schnelle Erreichen des Ziels und das fantastische Feedback der Künstler:innen und der Leser:innen: Meine Sorge ist, dass sich die grundlegende Problematik – steigende Energiepreise, Rohstoffmangel, hohe Frachtkosten, Unterbrechung der Lieferketten – in der nächsten Zeit eher noch verstärkt, als dass sie sich in kurzer Zeit bewältigen ließe. Wenn amerikanische Verlage ihre Produktionsstrukturen auch umstellen müssen, weil die Lieferkosten aus China und Korea immens gestiegen sind, haben wir eventuell bald noch mehr Konkurrenz auf dem jetzt schon umkämpften europäischen Markt für Papier und Print-Produkte.

Klar ist, dass Konzernverlage von Papierherstellern und Druckereien bevorzugt behandelt werden, weil mit größeren Mengen gehandelt wird. Was übrig bleibt, können die kleineren Verlage unter sich aufteilen. Da sind wir unabhängigen Kleinverlage das letzte Glied in der Kette. Ich denke, es braucht eine grundlegend neue Infrastruktur für die Druck- und Papierbranche, weg von der Globalisierung hin zu eher regional angesiedelten Produktionsketten. Aber bis die geschaffen sind, werden sicherlich Jahre vergehen, in denen wir weiterhin in einem Existenzkampf stecken.

Für 40€ ist ein Exlibris von Lewis Trondheim zu haben. ©Reprodukt
Schon nach den ersten Tagen habt ihr Euer Ziel von 30.000 Euro erreicht. Wie ist Deine Reaktion darauf?

Im ersten Moment war ich natürlich begeistert und erleichtert zugleich. Und dankbar – vor allem den vielen Comicfans und Leser:innen gegenüber, die gespendet haben! Aber wie gerade beschrieben, die Ungewissheit bleibt bestehen. Und auch wenn bei anderen Verlagen die Probleme vielleicht nicht so schnell existenzieller Natur sind wie bei uns: Ich höre überall aus der Branche, dass es nicht nur Papierpreiserhöhungen, sondern zunehmend Unwägbarkeiten bei der Buchproduktion gibt. Sei es, dass 100.000 ukrainische LKW-Fahrer fehlen, um die Bücher aus Ost- nach Westeuropa zu transportieren. Oder dass uns eine Druckerei nach Auftragsstellung mitteilt, dass das Papier, was gestern noch auf Lager war, heute nicht mehr lieferbar ist. Und anderes Papier als Ersatz gleich noch mal eine Kostensteigerung um 30 % bedeutet. Das ist aktuell fast schon ein geläufiges Vorgehen, das jede Buchkalkulation unwägbar macht, und jede finanzielle Jahresplanung zu einem großen Fragezeichen. Dass die Preiserhöhungen an die Leser:innen weitergegeben werden, ist nur eine Frage der Zeit.

Wer möchte kann sein Geld auch einfach in einen Gutschein umwandeln. ©Reprodukt
Die Comic-Branche hat Corona bisher ohne größere Blessuren überstanden – eben weil die Leserschaft ihr treu geblieben ist. Ist das das Geheimnis des Erfolgs? Die enge Beziehung zwischen Comic-Leserschaft und Verlagen?

Wir freuen uns sehr über die riesengroße Unterstützung unser Leser:innen! Ich kann nicht beurteilen, inwieweit diese Bindung auch für andere Verlage gilt. Aber ich hatte immer schon den Eindruck, dass wir eine besondere Beziehung zu den Leser:innen haben. Wir haben viele deutsche Zeichner:innen im Programm, die sich auch jenseits der Verlagsarbeit über soziale Medien, Ausstellungen, Vorträge und weitere Veranstaltungen ihr eigenes Publikum erarbeiten. Das unterstützt die Verlagsarbeit immens und macht für die Leser:innen greifbarer, was wir als Verlag als unsere Aufgabe verstehen.

Wir sind 1991 etwa gleichzeitig mit Drawn & Quarterly in Kanada oder L’Association in Frankreich entstanden. Beiden Verlage fühlen wir uns nach wie vor sehr verbunden, es gibt einen regen Austausch. Und viele unserer befreundeten Zeichner:innen wie Anke Feuchtenberger, Martin tom Dieck, Makus Huber oder jetzt in der zweiten Generation Aisha Franz, Sascha Hommer, Kathrin Klingner lehren Comics an Hochschulen überall in Deutschland. Nicht zuletzt dank ihnen ist der Kontakt auch zur jüngsten Generation Zeichner:innen nie abgerissen. 

Wie man im Video (auf der Crowdfunding-Seite) gut sehen kann, besteht unser Team aus Mitarbeiter:innen von Ende zwanzig bis hin zum 60-jährigen Verleger. Ich denke, wir sind gut aufgestellt mit Kontakten in allen Ecken des Comic-Marktes. Sebastian etwa kennt die Gepflogenheiten von Egmont, Micha und ich haben bei Carlsen gearbeitet, Filip für Cross Cult und avant-verlag, Mona für avant-verlag und die Edition Moderne, Anna wurde bei Carlsen ausgebildet, Heike hat dort im Vertrieb und in der Manga-Redaktion gearbeitet. Alex kommt direkt aus der Hamburger HAW zu uns in die Herstellung und ist sehr aktiv in der Berliner Szene um die Zinemacher:innen. Lukas hat gerade bei uns ein Volonariat angefangen und kümmert sich gleichzeitig um die Pressearbeit beim Gratis Comic Tag… Uns allen ist gemein, dass wir uns für die Arbeit mit Comics begeistern und versuchen, aus jedem Projekt das beste herauszuholen. 

Worauf können sich die Fans denn im Herbstprogramm freuen?

Ha! Auf viele neue Comics, unter anderem auf Facetten von Pénélope Bagieu, Hundeblick – Berliner Schnauzen von Nadia Budde, Mr. Natural von Robert Crumb, Blood of the Virgin von Sammy Harkham, In der Haut eines Mannes von Hubert & Zanzim, Nowhere Girl von Magali Le Huche, neue Bände von Kitaro, Nadel und Folie von Luka Lenzin, Der lachende Vampir 2 von Suehiro Maruo, Ping Pong 2 von Taiyo Matsumoto, Kajaani von Ville Ranta, Der Mann im Pyjama von Paco Roca und zwei neue Bände von Die neuen Abenteuer von Herrn Hase von Lewis Trondheim.

Wie lange läuft die Crowdfunding-Aktion?

Die Crowdfunding-Aktion läuft noch bis zum 9. Mai.

Wird es eine einmalige Aktion bleiben?

Ich kann mir nicht vorstellen, so etwas in absehbarer Zeit zu wiederholen. Auf die große Solidarität und Großzügigkeit unserer Leser:innen und unserer Zeichner:innen aus dem In- und Ausland aber auch anderen Größen der Comic-Szene wie Art Spiegelman, der ohne zu Zögern eine seltene signierte Ausgaben von Raw 1 oder die Erstausgabe von Maus gespendet hat, können wir nicht noch einmal hoffen. Wir werden sehen, wie wir weiter über die Runden kommen. 

Wer sich beteiligen möchte kann das hier tun: https://www.startnext.com/reprodukt 

 

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