100 Jahre Charles M. Schulz – Vater der Peanuts

100 Jahre Charles M. Schulz. Zum runden Geburtstag des Peanuts-Papas ist im Hamburger Carlsen Verlag soeben ein opulenter Prachtband erschienen. Von Umberto Eco wurde der Schöpfer der legendären Comicfiguren schon 1963 als Poet bezeichnet. Wer seine Comic-Strips liest, weiß, was gemeint ist. Die Peanuts sind einfach anders. Sie sind großartig. Sie sind zeitlos. Der neue Band „…und Charles M. Schulz schuf die Peanuts. Eine Hommage an den größten Comicstrip aller Zeiten“ zeigt die Welt der Peanuts aus unterschiedlichen Perspektiven.
Mal wird der Blick auf Snoopys Welt geworfen, mal Lucys psychologisches Feingefühl unter die Lupe genommen. Oder es wird das Thema Liebe aufgegriffen. Comic-Experte Andreas C. Knigge gratuliert Charlie Brown in einem 72-seitigen Essay und Volker Hamann greift den Klang der Peanuts auf, bevor am Ende noch Matthias Wieland und Michael Groenwald von der Aufgabe berichten, die Peanuts zu übersetzen. Mit Andreas und Volker (siehe auch Das Große Lucky Luke-Lexikon) habe ich per E-Mail Interviews geführt. Happy Birthday Charlie Brown, pardon: Charles M. Schulz.
© 2022 by Peanuts Worldwide LLC
Lieber Andreas, Du beschreibst in deinem Text sehr anschaulich, wie schwer es Charles M. Schulz in seiner Kindheit und Jugend vor allem mit sich selbst hatte. Erst als Soldat hat er sich eine Portion Selbstbewusstsein geholt. Inwiefern ist Charlie Brown sein Alter Ego?

(Andreas C. Knigge) Charlie Brown ist der kleine Junge, der nur das Gute will, und auf dem dennoch alle herumhacken. Er hat stets das Gefühl, falsch in dieser Welt zu sein, obwohl er nichts Böses im Sinn hat. Darin spiegelt sich, wie CMS seine Kindheit erlebt hat. Ein Lebensgefühl, das ihn geprägt und zeitlebens beschäftigt hat. Unter Ablehnung oder Kritik hat er als Kind stark gelitten und das Gefühl, nicht verstanden zu werden, nie wirklich überwinden können. Das bildet sich schon in seinem allerersten Peanuts-Strip ab. In diesem trottet Charlie Brown mit einem unschuldigen Lächeln auf dem Gesicht an Shermy und Patty vorbei und Shermy sagt dann im letzten Bild: „Der gute, alte Charlie Brown … Wie ich ihn hasse!“.

So ist zuvor noch nie ein Comic-Held auf den Plan getreten! Daraus, dass das Gefühl, deplatziert zu sein, sich dann auch immer wieder bestätigt, hat CMS über fast fünfzig Jahre hinweg die Gags für seinen Strip bezogen. Diese Thematisierung der eigenen leidvollen Erfahrung wurde schließlich ein Welterfolg. Für CMS war das Zeichenbrett immer auch ein Zufluchtsort, an dem er seine Ruhe hatte. Beim Zeichnen befand er sich in einer Welt, in der er – wie er einmal sagte – im wahrsten Sinne des Wortes die Feder führte.

…und Charles M. Schulz schuf die Peanuts. Cover des neuen Buches. © Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2023
Warum hat Schulz den Seriennamen „Peanuts“ eigentlich gehasst?

Das war nun wirklich der »grauenvollste Titel, der je für einen Comic-Strip erdacht wurde«, so Schulz später (nicht zu Unrecht, in Deutschland etwa wird »Peanuts« 1994 zum Unwort des Jahres erklärt). »Er ist vollkommen albern, ohne Bedeutung und einfach nur verwirrend und würdelos – und ich finde, mein Humor hat eine gewisse Würde. Das hat meine ganze Karriere überschattet und ärgert mich bis heute. Kleine Kinder wurden nie als ›Peanuts‹ bezeichnet, niemals. Die einzigen ›Peanuts‹, von denen die Menschen reden, sind etwas nichtiges, Kleinkram. Doch was sollte ich als unbekannter Zeichner aus St. Paul sagen?«

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100 Jahre Charles M. Schulz: Welche Bedeutung haben die „Peanuts“ für die Comicwelt? 

Der Strip zählt zu den unvergänglichen Sternstunden der Comic-Historie und zeigt, wie weniger Striche es bedarf, um eine ganz eigene Welt zu erschaffen – wenn die Striche (und Punkte) denn an der richtigen Stelle sitzen.

Gibt es Deiner Meinung nach einen anderen vergleichbaren Zeichner?

Zeichner schon, aber einen Künstler, bei dem Thema und Bildartistik ein Werk von solcher Treffsicherheit ergeben: nein.

Was wäre eine Welt ohne die Peanuts? 😉

Eine ganze Ecke ärmer.

Andreas C. Knigge ©privat
Lieber Volker, Du hast dich in dem neuen Jubelband über Charles M. Schulz mit Vince Guaraldi und dem Klang der Peanuts beschäftigt. Der Pianist hat für die TV-Serie und viele Filme der Peanuts die entsprechende Musik geliefert. Wie eng ist Deiner Meinung nach der Erfolg der Peanuts mit den Filmen, aber auch mit der dazu gehörenden Musik verbunden?

(Volker Hamann) Erfolg hatten die Peanuts schon damals, Mitte der 1960er Jahre. Immerhin druckten bereits mehrere Hundert Tageszeitungen in den USA täglich ihre Strips. Sogar in Deutschland waren sie in Zeitungen und Zeitschriften wie den Ruhr-Nachrichten oder dem Stern zu sehen. Aber nach der Ausstrahlung des ersten TV-Specials mit den von Lee Mendelson produzierten und von Bill Meléndez animierten Zeichentrickfilmen mit der legendären Jazzmusik von Vince Guaraldi im Dezember 1964 ging ihre Popularität so richtig durch die Decke. Es folgten Kinofilme, Musicals, das ganze Merchandising mit den Konterfeis der Peanuts-Figuren wie Poster, Kalender, Glückwunschkarten, Kartenspiele, Gummifiguren oder T-Shirts.  Nicht zu vergessen die Titelstory des Time-Magazine im April 1965. Die »Peanuts-Musik« war in dieser sehr breiten, öffentlichen Wahrnehmung sicherlich ein wichtiger Baustein, weil Guaraldi es verstanden hat, den Charakter der Comics von Charles M. Schulz aufzunehmen und ihn in eine universelle Sprache, die der Musik, zu überführen.

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Wenn Du die Musik zur Peanuts-Serie hörst: Was löst diese bei Dir aus?

Schon bevor ich mich für Jazz interessiert habe, fand ich die Musik zu den Peanuts von Vince Guaraldi toll. Sie bringt viel Gefühl und Schwung mit. Zwei wichtige Eigenschaften für Musik in meinen Ohren. Damals habe ich mit meinem Kassettenrekorder – wir reden hier von Anfang der 1980er Jahre – Tonaufnahmen der Trickfilme gemacht, wenn sie mal im Kinderprogramm der ARD liefen. Später war es dann einfacher, nachdem ich entdeckt hatte, dass Guaraldi einen Teil seiner Peanuts-Kompositionen auf Platte veröffentlicht und sich noch viel später sein Sohn um Wieder- und Originalveröffentlichungen der Stücke gekümmert hatte. Gerade erst in diesem Jahr sind viele Studioaufnahmen zum allerersten Mal veröffentlicht worden, die Guaraldi mit seinem Trio oder Quartett für die Zeichentrickfilme aufgenommen hatte und die im Archiv des Produzenten Lee Mendelson entdeckt wurden. Eine auch zeitlich passende Wiederentdeckung dieser tollen Musik, die bei mir immer noch richtig gute Laune erzeugt.

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Sind die Peanuts ohne Musik überhaupt vorstellbar? Oder hat nicht jeder von uns die entsprechenden Töne im Kopf?

Klar, beim Lesen der Comics brauche ich keine Platte von Vince Guaraldi aufzulegen, die unterhalten mich auch tonlos. Und selbst die Animationen sind nicht immer mit Musik unterlegt und haben trotzdem ihren Charme. Aber für mich stimmt das Gesamtpaket von den Peanuts im Film und der Musik, weil es, wie schon gesagt, den Charme der Comics von Schulz trifft.

 Wie muss man Vince Guaraldi einordnen? Und: Wie kam er dazu, die Musik für die Peanuts zu schreiben?

Vince Guaraldi gilt heute als einer der bekanntesten »West-Coast-Jazzer« der USA, zu denen unter anderem auch Stan Getz oder Chet Baker zählen, die in den 1950er Jahren neben dem urbaneren Jazz der Ostküste etwa aus New York eine neue Art von ungezwungener und ruhiger Jazzmusik spielten. Guaraldi wurde 1928 in San Francisco geboren und bezeichnete sich selbst mal als »reformierten Boogie-Woogie-Pianisten«, doch der ihm von seinen Freunden verpasste Spitzname »Dr. Funk« macht auch klar, dass er modernen und anderen Musikrichtungen aufgeschlossen war.

Die Produzenten der Peanuts-Trickfilme waren auf ihn aufmerksam geworden, weil er 1963 den Sommerhit des Jahres geschrieben hatte: Sein Song »Cast Your Fate to the Wind« entwickelte sich unter den kalifornischen DJs zum Geheimtipp, gewann eine Goldene Schallplatte und einen Grammy. Und nachdem Guaraldi seine ersten Noten zum geplanten TV-Special mit den Peanuts eingereicht hatte, war auch Charles M. Schulz überzeugt, den richtigen Komponisten an seiner Seite zu haben. Später sagte der Peanuts-Schöpfer: »Guaraldis musikalischem Genie ist ein Großteil des Erfolges der Fernsehproduktionen zu verdanken. Ich glaube, wir haben genauso viel Post mit der Bitte um seine Musik bekommen wie alle andere Post zusammen.«

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Hat ihm der Erfolg der Peanuts genutzt?

Ich denke, Vince Guaraldi war schon vor seiner Arbeit für die Peanuts bekannt und erfolgreich genug, Goldene Schallplatten und Grammys sind ein sicheres Anzeichen dafür. Aber im Gegensatz zu seinen früheren Aufnahmen werden die für die Peanuts auch heute, nach fast sechzig Jahren, immer wieder aufgelegt und belegen in den USA regelmäßig vordere Plätze in den Charts, wenn es auf Halloween oder Weihnachten zugeht. Seine zu diesen Feiertagen passenden Kompositionen »The Great Pumpkin Waltz« oder »Christmas Time Is Here« sind genauso zeitlos wie sein bekanntestes Stück »Linus And Lucy« und werden früher oder später genauso zum Great American Songbook gehören wie Lieder von George Gershwin oder Cole Porter. Leider hatte Guaraldi selbst nicht viel davon, denn er starb viel zu früh bereits 1976 im Alter von nur 47 Jahren.

Volker Hamann mit den ersten Ausgaben der Reddition. © Alex Jakubowski

5 von 5 Comic-Denkblasen

Angaben zum Buch: 

… Und Charles M. Schulz schuf die Peanuts. Eine Hommage an den größten Comicstrip aller Zeiten. Hardcover im Schuber. Farbig, 496 Seiten. Carlsen-Verlag. 79,-€

Und hier gehts zum Verlag: https://www.carlsen.de/comics

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