Gibt es einen größeren Szenaristen als René Goscinny? Asterix, Luke Luke, Isnogud, Umpah-Pah, der kleine Nick – all diese Figuren hat er entweder erfunden, oder ihnen seinen Stempel aufgedrückt. Jetzt ist im All-Verlag die Gesamtausgabe einer eher unbekannten Serie von ihm erschienen: Valentin der Vagabund. Gemeinsam mit Jean Tabary (Isnogud) hat Goscinny vier Geschichten für die Reihe umgesetzt. Die übrigen hat Tabary in Eigenregie erstellt.
Ein mottenzerfressener Schlapphut, ein Stock über der Schulter, eine Blume im Knopfloch – so beschreibt René Goscinny die Hauptfigur der Reihe. Er tut dies, wie auch bei Lucky Luke oder Asterix sehr detailliert. Sein Skript ist äußerst genau. Kein Fehler schleicht sich ein. Es ist, als hätte der Autor alles schon perfekt im Kopf geplant und durchdacht.
Durchdachtes Skript – exakte Umsetzung
Band eins der Gesamtausgabe druckt dankenswerterweise das Originalskript der ersten Seite ab. Und zwar im französischen Original wie auch in deutscher Übersetzung. Eindrucksvoll lässt sich damit nachvollziehen, wie genau der große Meister seinen Zeichnern Vorgaben gemacht hat. Und: Wie exakt Jean Tabary in diesem Fall diese Vorgaben umgesetzt hat.
Zwischen Laurel und Hardy und den Marx-Brothers
Die Geschichten selbst spielen mit der Naivität seiner Hauptfigur. Sie zeigen die Fallstricke des Alltags. Sie sind Slapstick a la Laurel und Hardy oder der Marx-Brothers. Etwa wenn Valentin als zufälliger Beifahrer eines versnobten Cabrio-Fahrers versucht, einen kaputten Reifen flicken zu lassen. Ein paar Fussmärsche zwischen Pannenwagen und Tankstelle, ein verärgerter Polizist, ein ignoranter Autofahrer – Valentin lässt mit seiner Unbekümmertheit alle Unverschämt- und Dummheiten an sich abprallen.
Im Pressetext zu Band 1 der Gesamtausgabe heisst es: „Auf seiner Wanderschaft durch die französische Landschaft gelingt es Valentin immer wieder, unvermittelt in unglaubliche Abenteuer zu geraten. Während er sich dem täglichen Wahnsinn stellt, trifft er auf Menschen, die eher dumm als wirklich böse sind. Dazu zählen besonders die ihm wenig wohlgesonnenen Gendarmen.“
Liebevoller Blick auf die Gesellschaft
Es sind mit leichter Hand geschriebene Geschichten, die unbekümmert daherkommen. Doch auf den zweiten Blick beschreiben sie diskussionswürdige Charaktere und gesellschaftliche Verhältnisse. Und sie tun dies aus einer sehr liebevollen Perspektive. Nichts wird negativ bewertet oder verdammt. Wenn Valentin sich falsch verstanden fühlt, zuckt der selbstlose Protagonist mit den Schultern und geht.
Goscinny hat seine vier Episoden Valentin in den Jahren 1962 und 1963 geschrieben. Zu einer Zeit, als er mit Asterix (1959) bereits seinen größten Erfolg erfunden hatte und auch Lucky Luke schon eine weile durch die Prärie reiten ließ (seit 1955). Doch offenbar hatte der umtriebige Autor noch genügend Zeit und Ideen, für eine weitere Figur.
Isnogud hier – Valentin dort
Valentin entwickelt Goscinny dabei fast parallel zu einer völlig anders gearteten Gestalt: Isnogud nämlich. Januar und März 1962 gelten als Geburtsmonate der beiden Figuren. „Mit der Schaffung dieses Vagabunden (Valentin), einer poetischen und unschuldigen Figur, will sich Goscinny vielleicht davon reinwaschen, den schändlichsten aller Wesire in Szene gesetzt zu haben“ heißt es im redaktionellen Teil der Gesamtausgabe.
Kalif anstelle des Kalifen
„Wenn Isnogud sich die schlimmsten Tricks ausdenkt, um Kalif anstelle des Kalifen zu werden, glaubt Valentin im Gegensatz dazu an das Gute im Menschen. In Goscinnys fruchtbarem Geist werden beide Serien für einige Monate nebeneinander existieren.“
Es ist der Zeitmangel, der Goscinny dann doch dazu zwingt, die Arbeit an Valentin einzustellen. 1963 wird er Chefredakteur des Comic-Magazins Pilote. Viele seiner anderen Serien sind weitaus erfolgreicher. Und dennoch wird der Vagabund weiterleben. Nur eben alleine verantwortet vom bisherigen Zeichner Jean Tabary.
Tabary übernimmt alleine
„In der Tat, wo Goscinny mit Kontrasten spielte und meisterhafte Dialoge schuf, inszenierte Tabary seine Vorliebe für Unsinn und eine Situationskomik, die er genüsslich in immer neuen Variationen bis zur Erschöpfung auslebt.“ So heisst es erneut im redaktionellen Teil.
Vorbildliche Gesamtausgabe
Wie sehr sich Goscinny und Tabary unterschieden: auch das ist ein Erlebnis, das die Gesamtausgabe bietet. Ergänzt durch Originalzeichnungen, Cover, Fotos, Manuskripten und Entwürfen lässt sie ohnehin das Herz eines jeden Comicfans vor Freude hüpfen.
Dankenswerterweise hat der All-Verlag die Veröffentlichung der lange vergessenen Serie übernommen. Die Gesamtausgabe ist auf zwei Bände angelegt. Zu Band 1 ist eine auf 111 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe erschienen, mit Variantcover und nummeriertem Exlibris.
5 von 5 Comic-Denkblasen
Angaben zum Buch: Valentin – Gesamtausgabe 1. Autor: René Goscinny, Zeichner/Autor Jean Tabary. Hardcover, farbig. 250 Seiten. All-Verlag. 29,80€
Hier der Link zum Verlag: https://www.all-comic.de
Übrigens: Im Carlsen-Verlag erscheint demnächst ein Schuber mit allen von Goscinny und Tabary erdachten Abenteuern von Isnogud. https://www.carlsen.de/hardcover/isnogud-schuber/112805
Die comic-denkblase hat sich auch schon mit Lucky Luke befasst. Wer mehr wissen will: https://comic-denkblase.de/lucky-luke-sattelt-um