Beatrice – ein mystisches Lichtspiel

Von Joris Mertens habe ich Euch zuletzt Das große Los vorgestellt. Ein klassisch erzählter Krimi, der mich durch seine tolle Farbgebung und das Spiel mit Licht und Schatten überzeugt hat. Jetzt hat der Splitter-Verlag einen weiteren Comic des flämischen Zeichners veröffentlicht. Beatrice kommt völlig ohne Text aus. Logischerweise sind es umso mehr die Bilder, die eine große Faszination ausüben. Aber nicht nur: Beatrice – ein mystisches Lichtspiel.

Großstadt mit Stau am Abend. © Splitter Verlag GmbH & Co. KG Bielefeld 2023

Der Comic beginnt mit einer Doppelseite. Eine Großstadtszene, wir blicken von oben auf eine Straße voller Autos, eine Straßenbahn steht im Stau. Es könnte Paris sein, oder Brüssel – so wie schon in Das große Los. Die Sonne geht offenbar gerade erst auf, die Schatten sind lang. Die Menschenmassen schlängeln sich über die breiten Bürgersteige.

Einsam unter vielen

Mittendrin eine Frau in rotem Mantel: die Hauptfigur – Beatrice. Sie ist auf dem Weg zur Arbeit, wie tausende andere auch. In der anonymen Masse sucht sie ihren Weg, durch die Stadt, durch den Bahnhof. Auf dem Weg zu einem großen Kaufhaus, in dem sie wie viele andere Frauen auch Kunden bedient. Ihr Bereich sind exquisite Handschuhe. Schnell wird noch ein Preisschild gerade gerückt.

Beatrice-Cover © Splitter Verlag GmbH & Co. KG Bielefeld 2023

Auf ihrem Weg zur Arbeit kommt sie an einem stehen gelassenen roten Beutel vorbei. Immer wieder blickt sie hinüber und geht daran vorbei. Doch irgendwann nimmt sie ihn mit nach Hause in ihre kleine Dachwohnung, in der sie sich sonst in ihre Bücher vergräbt. Bonjour Tristesse von Françoise Sagan liest sie, als sie endlich zum Beutel greift.

Zeitreise?

Darin findet sie ein Fotoalbum. Schwarzweiße Aufnahmen aus einer vergangenen Zeit. Ein verliebtes Paar, das sich überall in der Stadt abgelichtet hat. Die Kinos standen offenbar in ihrer Blüte und auch die Kaufhäuser der Stadt hatten noch eine andere Bedeutung als jetzt. Beatrice vergräbt sich fortan in den Fotografien und macht sich auf die Suche nach den Locations von damals. Doch was sie findet, muss sie enttäuschen. Entweder sind es Baustellen oder die Orte haben sich von Grund auf gewandelt.

Einsam in der Menschenmenge. © Splitter Verlag GmbH & Co. KG Bielefeld 2023

Bei ihren Recherchen verliebt sich Beatrice in die Figuren auf den Fotos. Manchmal lächelt ihr der Mann vom Typ eines Cary Grant entgegen. Und manchmal scheint es, als übernehme sie die Rolle der Freundin auf den Fotos. Die Figuren verschmelzen miteinander. Genauso wie die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen. Bis es zum Schluss zu einem jähen Ende kommt und die Geschichte wieder von vorne zu beginnen scheint.

Gegenwart oder Vergangenheit?

Die Story erinnert mich ein wenig an die Gespenster Geschichten aus dem Bastei-Verlag von früher. Das Ende bleibt halbwegs offen, ein mystischer Nebel schwebt über den Figuren. Als Leser muss man sich seinen eigenen Reim machen. Wie schon bei Das große Los sind es auch bei Beatrice vor allem die Farben und Zeichnungen, die den großen Genuss des Comics ausmachen.

Die ominöse rote Tasche. © Splitter Verlag GmbH & Co. KG Bielefeld 2023

Joris Mertens schafft es, seinen Stil so zu perfektionieren, dass die Bilder wirken, als habe er sie schnell hin skizziert. Irgendwie unfertig und dennoch ausgereift. Mit vielen Details, aber auch krassen, rauen Strichen. Und dann eben das Licht! In fast jedem Panel setzt er Spots. Hebt Dinge hervor, spielt mit den Kontrasten. Punktuell setzt er die Farbe Rot ein. Beim Mantel von Beatrice etwa, oder bei dem liegen gebliebenen Stoffbeutel.

Perfekte Skizze

Dass der Band komplett ohne Sprechblasen auskommt, unterstützt die Einsamkeit der Hauptfigur. Kein Dialog, kein Selbstgespräch. Beatrice versinkt erst in ihren Büchern, dann im Fotoalbum, dann in ihrer Fantasie. Als Leser beobachten wir, was sie beobachtet und sich ausmalt. Und werden so mitgenommen in eine Welt der Vorstellungskraft. Erneut großes Kino.

5 von 5 Comic-Denkblasen

Angaben zum Buch: Beatrice. Text/Zeichnungen: Joris Mertens. HC. Farbe. Splitter-Verlag 2023. 25,-€

Hier gehts zum Verlag: Splitter

Wo ist Beatrice? © Splitter Verlag GmbH & Co. KG Bielefeld 2023

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