Laurent Verron und Yves Sente – die Namen klingen schon, wie französische Schauspielstars aus den 1970er Jahren. Der eine ist Zeichner, der andere Autor. Was die beiden zu Papier bringen ist einfach nur sensationell. Mit Mademoiselle J. entwickeln sie das Spirou-Universum gemeinsam auf eine neue Art weiter. Deren Blick zurück in die 1930er Jahre ist zeichnerisch auf höchstem Niveau, von vollendeter Eleganz und erzählerisch eine absolut runde Sache. Ein Glücksfall für die Comicwelt.
Im Spirou Spezial-Band Sein Name war Ptirou (siehe meine Bestenliste 2018 https://comic-denkblase.de/die-comic-denkblasen-bestenliste-2018 ) ist mir Laurent Verron zum ersten Mal aufgefallen. Was für ein Strich, welche Sicherheit und Eleganz. Ein paar Panel nur und ich fühle mich als Leser versetzt in eine Zeit, die bald 100 Jahre her ist. Nichts wirkt antiquiert, nichts gewollt. Babylon Berlin lässt grüßen. Wenngleich der Comic mit dem Ausstattungsspektakel jenseits der zeitlichen Nähe inhaltlich kaum etwas zu tun hat. Aber die Stimmung, die er vermittelt, ist ähnlich, wie in der erfolgreichen TV-Serie. Schon hier hat Laurent Verron mit Yves Sente zusammengearbeitet.
In besagtem Spirou-Spezial-Band lernen wir Mademoiselle J. zum ersten Mal kennen. Juliette ist Passagierin auf einem Ozeandampfer nach New York. Auf dem Schiff lernt sie den blinden Passagier Ptirou kennen. Das Vorbild des Zeichners Rob-Vel für seine Comicfigur Spirou. Verlieben sich die beiden etwa ineinander?
Von der Neben- zur Hauptfigur
Während Juliette in Sein Name war Ptirou noch die stärkste Nebenrolle hatte, wird sie in Mademoiselle J. nun zur Hauptfigur. Ptirou kommt dieses Mal als Nebenfigur nur in ihren Gedanken vor. Das kränkliche Mädchen wird zur jungen Dame, und schließlich zu einer emanzipierten jungen Frau. Sie macht ihren Uni-Abschluss mit Auszeichnung, will Journalistin werden.
Das alles passt ihrem Herrn Papa nicht. Der Reeder einer Öltankerflotte wird von den Nazis zum Verkauf von Aktienanteilen aufgefordert. Natürlich ist die Operation Geheimsache. Ziel ist der Transport von sowjetischem Öl. Eine unheilige Allianz, ein Komplott zu Lasten der Franzosen. Weil Mademoiselle J. die Entscheidungsgewalt über ihren Aktienanteil hat, verhindert sie den Deal – wegen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den Nazis. Und schon geht die muntere Spionagegeschichte los.
Nazis und Sowjets – was für ein Pakt?
Aber erst als Praktikantin der linken Zeitung Horizon France deckt J. die Verschwörung auf. Sie erntet Anerkennung von ihrem Redakteur und ihrer Freundin. Eifrig geht sie dem Komplott auf den Grund. Allerdings hat die Sache auch schwere Folgen für ihr privates Glück – sehr schwere Folgen sogar (mehr sei nicht verraten).
Neben dem beeindruckenden Zeichenstil von Laurent Verron punktet die Geschichte auch in erzählerischer Hinsicht. Klug durchdacht komponiert Yves Sente ein Komplott. Neben der persönlichen Ebene spielen die nationalen Auseinandersetzungen der damaligen Zeit natürlich eine große Rolle. Der Plot hält mehr als eine Überraschung parat, am Ende taucht Rob-Vel selbst auf und zeigt Mademoiselle J. seinen Spirou, den es seit kurzem an jedem Kiosk zu kaufen gibt.
Beeindruckender Zeichenstil – kluger Plot
Natürlich wird der dieser Spin-Off der Hauptserie nicht den Rang ablaufen. Wie könnte er das auch, bei einer Reihe wie Spirou. Die Geschichte hat nicht nur das Zeug zu einer Nebenserie, die in Erinnerung bleibt und vielleicht auch neue Leser anlockt. Sie hat definitiv das Potential zu einem modernen Klassiker.
5 von 5 Comic-Denkblasen
Angaben zum Comic: Mademoiselle J. Eine Frau. Ein Jahrhundert. 1938: Ich werde niemals heiraten! Zeichnungen: Laurent Verron. Text: Yves Sente. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Softcover, farbig. 64 Seiten. Carlsen-Comics. 12,-€
Zum Verlag gehts hier: https://www.carlsen.de/comics