Im Weltkulturerbe Völklinger Hütte, einem ehemaligen Eisenwerk, werden zur Zeit Originalarbeiten von Jens Harder ausgestellt. Der Comic-Zeichner arbeitet ja seit Jahren an einer Geschichte unseres Planeten. Er bildet 14 Milliarden Jahre Erdgeschichte ab – um genau zu sein. Seine fundamentale Darstellung findet nun Platz in einem Monument der Industrialisierung. Eine kongeniale Kombination. Jens Harder: The Story of Planet A. Der Generaldirektor der Völklinger Hütte, Ralf Beil, sowie Jens Harder selbst, erklären uns das Projekt, das noch bis Ende November im Saarland zu sehen ist.
Lieber Herr Beil, wie kommt es zu dieser ungewöhnlichen Ausstellung in Ihrem Hause?
(Ralf Beil) Die Genese dieses Ausstellungsprojektes war so denkwürdig wie einfach – und besonders dynamisch: Ich hörte eine Besprechung von Jens Harders Comic BETA II im Radio. Danach habe ich mir das Buch umgehend besorgt und sofort das Potential für eine Ausstellung gesehen. Eine kurze Mail und ein langes Treffen im Berliner Studio von Jens Harder und die Schau war konzipiert: 14 Milliarden Jahre Erdgeschichte – nicht mehr und nicht weniger.
Welchen Bezug hat die Völklinger Hütte zu Comics, welchen im Speziellen zu denen von Jens Harder?
Wir sind ein für alle Künste offenes Weltkulturerbe – ohne Ausnahme. Als einzigartiges Zeugnis der Industrialisierung ist die Völklinger Hütte zugleich exemplarisch für das menschengemachte Zeitalter, das Anthropozän. Die Erze und Kohle, die im Industriezeitalter abgebaut und hier zu Eisen und Stahl verarbeitet wurden, sind jedoch nicht nur Rohstoffe, sondern vor allem Schätze der Erde, die bereits vor Milliarden von Jahren entstanden sind. Jens Harders Bildwelt führt uns eben diese Gesamtzusammenhänge prägnant vor Augen, wenn er uns im Zeitraffer durch die Geschichte unseres Planeten führt. Er vereint in seiner Trilogie geradezu meisterlich alle fünf Themenfelder, die das Weltkulturerbe besonders ausmachen: Industrie, Kultur, Geschichte, Kunst und Natur.
Wie kann ich mir die Ausstellung vorstellen?
In der 1.000 Quadratmeter großen Erzhalle erleben Sie fünf Großmotive auf der Glasfront, einen rundumlaufenden Wandfries von mehr als 150 großformatigen Prints von Comic-Seiten an allen drei Wänden sowie rund 70 gerahmte Originalzeichnungen, begleitet von Fundstücken, Werkzeugen und Prozesszeugnissen des Künstlers in Vitrinen. Jens Harders Comic-Trilogie ist damit erstmals in Europa als Gesamtschau zu erleben – vom Urknall bis zur fernen Zukunft, die hier schon mit Naturritualen von Waldsekten sowie mit Space-Mining aufscheint.
Gibt es ein Rahmenprogramm? Finden Signier-Termine statt?
Nachdem Jens Harder während der Eröffnung seine Bücher buchstäblich im Akkord gestempelt, mit Zeichnungen versehen und signiert hat – der Andrang war riesig – wird es im Laufe der Ausstellung weitere Gelegenheiten geben für Künstlergespräche und Buchsignierungen. Ich bin zuversichtlich, dass Jens Harder noch ein paar Mal bei uns sein wird, während der Laufzeit. Näheres dazu dann auf unserer Website oder unseren Social-Media-Kanälen.
Dürfen wir uns künftig auf weitere Comic-Ausstellungen in Ihrem Haus freuen?
Selbstverständlich. Ich unterscheide nicht zwischen Gattungen, Genres und Stilen, sondern entscheide nur nach Qualität von Inhalt und Form. Zumindest in Jens Harders Fall sind seine Zeichnungen ebenso welthaltig wie anspielungsreich, ebenso informiert wie humorvoll-ironisch. In Zukunft werden wir weitere starke Bildwelten zeigen: filmisch, skulptural, installativ, malerisch, performativ – und gerne auch zeichnerisch im weitesten Sinn. Jens Harder schlug, begeistert vom Originalschauplatz, gleich vor, 100 Comic-Künstler:innen einzuladen für 100 Ansichten – analog zu Hokusais legendären „One Hundred Views of Mount Fuji“. Auch das kann ich mir vorstellen.
Lieber Jens, was bedeutet es für Dich, in der Völklinger Hütte auszustellen?
(Jens Harder) Für mich ist das ein absolutes Geschenk, eine ganz besonders großartige Möglichkeit, meine Arbeit derart umfassend (circa 250 Seiten in Original oder Großreproduktion plus vier Vitrinen mit Recherchematerial) in dieser zeitlichen Länge (von April bis November 2023) und räumlichen Ausdehnung (in der Erzhalle auf 1.000 Quadratmetern) zu zeigen. Vor allem paßt der Ort jedoch geradezu ideal zum Gezeigten und Erzählten – es gibt zig inhaltliche Überschneidungen und Bezüge zu meiner Comicserie, sei es zur Entstehung der Bodenschätze (Erze, Kohle), dem Beginn des Industriezeitalters (Großfabriken, Stahlproduktion) oder den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts (Weltkriege, Zwangsarbeit) bis hin zur heutigen postindustriellen Umnutzung des Standortes; quasi das begehbare Anthropozän, in dem ich meine gezeichnete Sicht auf das selbige bzw. auf dessen Entwicklung nun ausstellen darf.
Dein Comic ist ja nun ein Langzeitprojekt. Was kommt als nächstes? Woran arbeitest Du?
Die nächsten zwei Jahre werde ich noch an der Fertigstellung des letzten Bandes meiner Trilogie »GAMMA ..visions« arbeiten, das dann 2025 erscheinen soll und die Zukunft (ab jetzt bis zur nächsten großen Zäsur in ca. 100 Milliarden Jahren) unter die Lupe nimmt. Parallel stelle ich gerade mit drei Kollegen einen stummen Comic namens »versus« über einen hochstilisierten und streng durchchoreografierten Schlagabtausch zwischen Natur und Technik fertig und bin gemeinsam mit dem Zeichner Vincent Burmeister an der Umsetzung eines von mir geschriebenen Storyboards über Hiphop und Breakdance in der DDR. Falls das gut läuft, wird es ein Folgeprojekt geben, das die explodierende Techno- und Ravekultur im Nachwendeberlin thematisiert. Und mein nächstes Coup-de-coeur habe ich auch schon grob umrissen – eine Art Sachcomic nur über Wasser, Arbeitstitel »H2O – the alien molecule«.
JENS HARDER: THE STORY OF PLANET A. 14 Milliarden Jahre Erdgeschichte im Comic.
16. April – 26. November 2023.
Weitere Infos zur Ausstellung gibt es auf der Seite der Völklinger Hütte: The Story of Planet A
Und hier findet Ihr die Bücher von Jens Harder: Jens Harder beim Carlsen-Verlag